Vor der Idee mit der Hotline hatte Ali Can die Idee mit dem Schokohasen. Im Internet hatte der 22-Jährige gelesen, dass man leichter mit Leuten ins Gespräch kommt, wenn man etwas Ungewöhnliches dabei hat. Es war März, also kaufte er sich einen Osterhasen aus Schokolade und reiste damit aus Gießen auf Pegida-Demonstrationen in Leipzig, Dresden und Hoyerswerda. Sein Ziel: "Ich wollte auf friedliche Weise mit rechtsgesinnten Leuten ins Gespräch kommen", sagt Ali. Er, der in der Türkei geboren ist, als er zwei Jahre alt war, nach Deutschland kam und heute in Gießen Deutsch und Ethik studiert.

Dass aus seiner Reise mit dem Osterhasen eine bundesweite Hotline für besorgte Bürger wurde, hat auch mit einer Pegida-Demonstrantin zu tun, die er in Dresden kennenlernte. Monate später rief die Frau, mit der Ali über ihre Angst vor ausländischen Männern seit der Kölner Silvesternacht gesprochen hatte, ihn an. Sie hatte seine Nummer bei Facebook gefunden.

Neulich habe sie ein Flüchtling an der Bushaltestelle nach dem Weg gefragt, erzählte sie. Da habe sie ihm geholfen, warum auch nicht? Und er sei so dankbar gewesen, habe gar nicht mehr aufgehört, sich zu bedanken. Der sei doch eigentlich ganz nett gewesen. Also seien sie doch nicht alle so wie die Männer in Köln.

Flüchtlinge
Ein Student kämpft gegen Vorurteile
Ali Can stammt aus der Türkei, studiert in Gießen und gibt Workshops für verunsicherte Menschen, um ihre interkulturelle Kompetenz zu stärken. Dabei trifft er häufig auf Vorurteile.

"Diese Frau hatte gar keine Frage, sie musste ihre Erfahrung einfach mal loswerden", sagt er. Vermutlich wären da in ihrem Umfeld nicht viele Menschen gewesen, mit denen sie diese Erfahrung hätte teilen können. Deshalb, dachte Ali, will er für diese Menschen da sein, zum reden und zuhören. Und gründete die Hotline für besorgte Bürger.

Öffnungszeit: mittwochs von 16 bis 18 Uhr

Das Konzept seiner Hotline ist so simpel, dass er gar nicht glauben kann, dass noch kein Politiker vor ihm auf die Idee gekommen ist: Seit vier Wochen kann ihn jeder, den eine Frage zum Thema Integration beschäftigt, mittwochs von 16 bis 18 Uhr auf seinem Handy erreichen. Die Nummer verbreitet er auf Facebook und auf seiner Webseite.

Ali bietet denen das Gespräch an, mit denen keiner so recht sprechen möchte: den besorgten Bürgern, den Pegidisten, den AfD-Wählern. Den Wählern der Partei, die gerade erst fast 21 Prozent bei den Wahlen in Mecklenburg Vorpommern bekam, 14 Prozent im liberalen Berlin und jetzt in zehn Landesparlamenten sitzt.

Die AfD bedient mit ihren Forderungen nach Grenzkontrollen und Einwanderungsverboten die Sorgen von Bürgern vor Überfremdung und sozialem Abstieg. Sorgen, die man ernst nehmen sollte, sagen auch Sigmar Gabriel und Angela Merkel. Nur die Zeit, sich die Sorgen wirklich anzuhören, scheint keiner zu haben.

"Mir ist es wichtig, auch mit denen zu sprechen, die von Integration scheinbar nichts wissen wollen."

Ali nimmt sich die Zeit. Er betreibt nicht nur die Hotline, sondern hält auch Vorträge und Workshops an Schulen, Universitäten und beim DAAD. Dafür hat er einen eigenen Verein für Interkulturellen Frieden gegründet. Das Publikum wünscht sich von Ali eine Antwort auf die Frage: Wie kann Integration gelingen? Es gibt nur ein Problem: Zu solchen Vorträgen kommen meist Leute, die sich ohnehin schon für Flüchtlinge engagieren.

"Mir ist es wichtig, auch mit denen zu sprechen, die von Integration scheinbar nichts wissen wollen", sagt Ali. Wer ihn auf dem Handy erreicht, kann Fragen stellen, diskutieren oder seine Meinung loswerden. Andere rufen nur an, um mal Dampf abzulassen.

So wie ein AfD-Wähler vergangenen Mittwoch: "Was soll der Quatsch, hör auf damit, das braucht hier niemand. Geh lieber zurück dahin, wo du herkommst."

"Da konnte ich nicht viel machen, außer ihm trotzdem alles Liebe zu wünschen", sagt Ali.

Sind das also die typisch besorgten Bürger?

Nein, sagt er. Am selben Tag rief noch einer an, mit dem er über eine Stunde sprach. Der Herr erzählte, er leite ein Unternehmen, habe studiert, Migranten im Bekanntenkreis und Ausländer im Team. Er fürchte nicht um seinen eigenen Arbeitsplatz, aber darum, dass die vielen Neu-Ankömmlinge in Deutschland gar nicht arbeiten wollten. Doch bevor er Ali von seinen Sorgen erzählt, tut er etwas, womit Ali am wenigsten gerechnet hätte. Er lobt ihn.

"Ich finde das gut, dass du das machst. In den Medien wird man immer gleich als rechts abgestempelt. Ich finde gut, dass du offen bist."

Weil fast alle seiner Anrufer sich von den Medien missverstanden fühlen, hält Ali die Identität der Anrufer geheim. "Sonst verliere ich deren Vertrauen sofort wieder. Die Leute rufen ja nur an, weil sie bei mir nicht bloßgestellt werden", sagt er. Die Aussagen der Anrufer stehen hier deshalb so, wie Ali sie in Erinnerung hat.