Mit oder ohne Putin? – Seite 1

Es ist eine Welttournee ohne Beispiel, die Frankreichs Staatspräsident François Hollande in dieser Woche unternimmt. Am Dienstag in Washington, am Donnerstag in Moskau. Davor und dazwischen Treffen mit den Regierungschefs aus Großbritannien, Italien und Deutschland und Gespräche mit den Spitzen von EU und UN. Zum Abschluss am Sonntag dann noch eine Begegnung mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Es braucht eine gute Kondition, wenn man eine globale Koalition gegen den Terror des "Islamischen Staats" schmieden will.

Gleich nach den Anschlägen in Paris hatte Hollande die Solidarität der Europäer nach Artikel 42.7 des EU-Vertrages eingefordert. Darin heißt es, "im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung".

An diesen EU-Artikel konnte sich in Europas Hauptstädten kaum jemand erinnern. Warum keine Bitte um Beistand nach Artikel 5 des Nato-Vertrages, dem zufolge ein Angriff auf ein Mitglied ein Angriff auf alle ist? Weil Frankreichs Sozialisten, wenn sie morgens aufwachen, nicht als erstes an die Nato denken, spottet ein Spitzenbeamter in Berlin. Aber auch, so wäre hinzuzufügen, weil Hollande gern Russland gegen den IS an Bord holen will. Ein Nato-Einsatz würde diesen Versuch zum sofortigen Scheitern verurteilen.

Nato hält sich bisher zurück

Offiziell spielt die Nato im Kampf gegen den "Islamischen Staat" bisher keine Rolle. Der Anti-IS-Koalition, an der sich mehr als 60 Staaten und internationale Organisationen beteiligen, gehört sie nicht an. Bisher beschränkt sich ihr Beitrag auf das Training und die Beratung von Streitkräften in der Region. Zu den Ländern, die von der Nato unterstützt werden, gehören der Irak, Jordanien und Tunesien.

Viele Militärs und Diplomaten in der Nato täten gern mehr. Die Nato hat sich als Antwort auf Putins aggressives Vorgehen gegen die Ukraine strategisch neu aufgestellt, eine "sehr schnelle Eingreiftruppe" beschlossen, hat die militärische Präsenz im Osten der Allianz deutlich verstärkt, hält in großem Umfang Manöver ab. Aber die Gefahr aus dem Süden, sagen Kritiker, vernachlässige sie.

Dieser Vorwurf kommt vor allem aus den südlichen Ländern der Allianz, auch aus Frankreich. Umso mehr fürchtet mancher Hardliner in Brüssel und auch in Washington, Hollandes Werben um Russland könnte die bisher einheitliche Haltung gegenüber Putins Vorgehen in der Ukraine aufweichen.

Mit Russland wird wieder gesprochen, immerhin.

Bisher allerdings sind sich die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien darin einig, dass die über Russland verhängten Sanktionen erst dann aufgehoben werden, wenn die Forderungen der Waffenstillstands-Vereinbarung von Minsk vollständig erfüllt sind. Damit rechnet in nächster Zeit niemand. Deshalb haben die Staats- und Regierungschefs der fünf Länder am Rande des G-20-Gipfels in Antalya vor zehn Tagen verabredet, die zum Jahresende auslaufenden Sanktionen für weitere sechs Monate bis Juli 2016 zu verlängern.

Immerhin, mit Russland wird wieder gesprochen. US-Präsident Barack Obama setzte sich in Antalya mit Wladimir Putin zusammen. Angela Merkel hat den Dialog ohnehin nie abreißen lassen. Nun reist Hollande.

Wie wichtig dies ist, zeigt der Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch türkische Jagdflieger im syrisch-türkischen Luftraum am Dienstag. Ein solcher Zwischenfall kann schnell zu einer Eskalation  zwischen Russland und der Nato führen – genau in dem Moment, wo beide sich auf das gemeinsame Ziel konzentrieren sollten, die IS-Barbarei zu bekämpfen.

Das richtige Gremium derlei zu besprechen und Spannungen abzubauen, wäre der Nato-Russland-Rat. Aber der hat, eine Folge der Ukraine-Krise, vor anderthalb Jahren zum letzten Mal getagt. Polen, Amerikaner und Balten wünschten bis auf weiteres keine Sitzungen. Man fasst sich an den Kopf: Wozu gibt es einen solchen Rat, wenn er in Krisenzeiten nicht tagen darf?

Eine Koalition mit Russland gegen den "Islamischen Staat" wird es denn auch so schnell nicht geben. Mehr Koordination wäre schon ein Gewinn. Obwohl die Führung in Moskau liebend gern die Chance ergriffe, über Syrien einen Weg aus der internationalen Isolation zu finden. Das russische Verteidigungsministerium hat dieser Tage ein Foto veröffentlicht von einer Bombe, die in Syrien unter ein Flugzeug gehängt wird. Darauf die Worte: "Das ist für Paris."