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Sprecherin des Außenministeriums Putins Fachfrau für Faschismus

Maria Sacharowa spricht für das russische Außenministerium - in schroffsten Tönen. Wer sich gegen ihr Land stellt, ist rasch ein "Faschist". Damit steht sie für die neue Härte der Kreml-Propaganda.
Sprecherin Sacharowa

Sprecherin Sacharowa

Foto: Maxim Shipenkov/ picture alliance / dpa

Mit vornehmen Tönen hat es Maria Sacharowa nicht so. "Niemand hat das Recht, das Gedenken an die Soldaten der Roten Armee zu manipulieren - nur deswegen, weil die Mehrheit von ihnen diesen Leuten nicht mehr auf die Fresse hauen kann", hat sie einmal gesagt. Oder dass das Kiewer Regime "bald im All verschwinden" werde. Und dass die "Eurobürokratie in die Zeit der heiligen Inquisition zurückgekehrt" sei, weil sie sich kritisch mit der Berichterstattung russischer Zeitungen beschäftige.

Sacharowa ist Sprecherin des russischen Außenministeriums, 40 Jahre alt, Doktorin der Geschichte. Sie trägt außerdem den Titel eines "Außerordentlichen und Bevollmächtigten Gesandten zweiter Klasse" - und fungiert seit gut einem Jahr als öffentliche Stimme von Außenminister Sergej Lawrow.

Am vergangenen Donnerstag war sie wieder mal in Form: "Solche Artikel sind Faschismus. Moderner, nur leicht maskierter Faschismus. Was der 'Guardian' geschrieben hat, ist furchtbar." Während eines Briefings knöpfte sich die Diplomatin die britische Zeitung vor. Diese hatte in ihrem Bericht von der Eröffnung der Paralympics in Rio eine Bemerkung gemacht, die sie offensichtlich unerträglich fand. Die farbenprächtige und stimmungsvolle Show, so hatte es im "Guardian" geheißen, sei durch die weißrussische Mannschaft getrübt worden, weil die bei ihrem Einmarsch die russische Flagge geschwungen habe. Als Protest gegen den Ausschluss der russischen Mannschaft.

Man liest das zwei-, ja dreimal und reibt sich die Augen. Die Entscheidung des Internationalen Paralympischen Komitees, Russland wegen der Dopingvorwürfe auszuschließen, kann man gut finden oder nicht. Der "Guardian" hatte aber lediglich die Eröffnungsshow beschrieben und dabei das Wort "puncture" benutzt, als er die politische Störung beschrieb, eine leichtere Form von "vermasseln". Was, bitte, hat dies mit "Faschismus" zu tun? Ist Sacharowa, die sich dazu aktuell auch mit der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung anlegt, wieder mal übers Ziel hinausgeschossen?

Sprecherin Sachrowa vor Journalisten (Mai 2016)

Sprecherin Sachrowa vor Journalisten (Mai 2016)

Foto: AP/ RIA Novosti

Faschistisch ist angeblich die Politik der USA

Aus russischer Sicht nicht. Der Begriff des Faschismus erlebt in Russland eine Renaissance. Faschistisch ist angeblich die Politik der USA, auch in der Ukraine sind Faschisten an der Macht, und überhaupt rege sich überall in Europa erneut das Gespenst des Faschismus, schreiben russische Zeitungen fast jeden Tag. Das habe Anfang der Neunzigerjahre im Baltikum begonnen, noch vor der Ukraine. Jetzt sei die EU dabei, sich den Osten Europas einzuverleiben - womit die Wiederkehr des Faschismus erst recht befeuert werde. Das alles sei auch nicht verwunderlich, schaue man sich europäische Politiker wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel an, schreibt die populäre Internet-Zeitung KM.RU: Deren Großvater sei ja "SS-Mann" gewesen.

Das klingt alarmierend, ist aber blanker Unsinn. Merkels Großväter waren nicht bei der SS. Der eine war Pole und kämpfte während des Ersten Weltkrieges gegen die Deutschen, der andere war Lehrer, er starb 1936. Genauso absurd ist es zu sagen, dass die Kiewer Regierung aus Faschisten bestehe. So absurd wie die Behauptung, dass der Ausschluss russischer Sportler von den Paralympics in Rio in einer logischen Reihe mit der Vernichtung von Roma, Juden, Invaliden und psychisch Kranken unter Hitler stehe. So jedenfalls schrieb es die Moskauer Zeitung "Iswestija".

Faschismusvorwurf um politische Gegner zu verfolgen

Niemand sollte derart leichtfertig mit dem Wort Faschismus spielen, wie es Russland derzeit tut. In Russland ist dieser Begriff seit fast hundert Jahren eines der am meisten missbrauchten politischen Wörter. Er hat dort wenig mit Mussolini, dem Schöpfer der faschistischen Bewegung, oder mit der Geschichte des Dritten Reiches zu tun, sondern steht im russischen Sprachgebrauch ganz allgemein für "widerwärtig, abscheulich, verletzend".

Faschismus - das ist das Infernalische, das sind Unmenschlichkeit, Grausamkeit, Aggression. Für die Nazis und ihre Vernichtungspolitik traf das alles zu. Aber in Moskau hat man mit diesem Begriff schon ganz früh Menschen etikettiert, die gar keine Faschisten im engeren Sinne des Wortes waren - sondern politische Gegner, die es außerhalb der menschlichen Gesetze zu stellen galt.

In den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts erklärte die sowjetisch gelenkte Komintern die Sozialdemokraten zum Hauptgegner der Kommunisten und grenzte sie als "Sozialfaschisten" aus, was Hitlers Machtergreifung erheblich erleichterte. Auch die Hunderttausenden von Menschen, die Stalin in den Dreißigerjahren zu Volksfeinden erklärte, wurden oft als vermeintliche Faschisten hingerichtet. Nach dem Krieg wurde die jugoslawische Führung um Josip Broz Tito die "faschistische Tito-Clique" genannt, nur weil sie dem Führungsanspruch Moskaus nicht folgen wollte. Der Aufstand in Ungarn 1956 war dieser Logik folgend ebenso ein "faschistischer". So zieht sich das bis zur heutigen Ukraine hin.

Sogar die Politik Barack Obamas wird inzwischen als "demokratischer Faschismus" diffamiert. In Russland selbst fordern Nationalisten dazu auf, das Jelzin-Zentrum in Jekaterinburg zu schließen, das nach dem Tod des ersten russischen Präsidenten entstand - weil es den "liberalen Faschismus" propagiere. Gemeint sind die liberalen Reformen, die Jelzin in seiner Amtszeit zu verwirklichen versuchte und die viele in Armut stürzten. Die führenden Köpfe seiner damaligen Mannschaft gelten den Russen heute als Böse - sprich als "Faschisten".

Russland hat sich seiner eigenen Geschichte nie richtig gestellt

Das alles passiert in einem Land, das sich nie richtig seiner eigenen Geschichte zu stellen versuchte. In vielen Gebieten Russlands - etwa in Brjansk und Wolgograd - wurden bis heute keine Listen mit den Namen der von Stalin Hingerichteten veröffentlicht.

Der inflationäre Gebrauch des Wortes Faschismus in Russland ist gefährlich. Denn damit wird den Russen ein falsches Bild von den Realitäten im Rest der Welt eingepflanzt. Alles, was nicht dem russischen Weltbild entspricht, gerät nun schnell in den Ruf, "faschistisch" zu sein. Russland dagegen habe schon fast hundert Jahre lang die undankbare Aufgabe, ganz allein mit der braunen Pest des Faschismus zu kämpfen, heißt es im Aufsatz einer Putin-nahen Organisation. Das leuchtet weniger gut informierten Menschen ein. Da der Kampf gegen den Faschismus etwas zutiefst Menschliches ist, muss Russlands Kurs der einzig richtige sein.

Mit dieser Art Verzerrung der Wirklichkeit werden nationalistische Stimmungen geschürt. Die Sprecherin Maria Sacharowa wirkt da wacker mit und konterkariert mit ihren unverantwortlichen Sprüchen das, was eigentlich die wichtigste Aufgabe ihres Ministeriums ist: für Verständigung zwischen den Ländern zu sorgen.


Zusammengefasst: Der Kreml entdeckt den Faschismus neu - und überzieht Gegner großflächig mit diesem Vorwurf. Der Begriff hat in Russland eine lange Tradition und passt gut zum neuen, harten Ton unter Putin. Eine der eifrigsten Verbreiterinnen ist Maria Sacharowa, Sprecherin des Außenministeriums.