Gas oder Freiheit lautet hier die Frage. Wer daran noch zweifeln wollte, müsste ignorieren, was Wladimir Putin in den vergangenen Wochen tat, sagte und verlautbaren ließ. Bevor sein Außenminister Sergei Lawrow dieser Tage andeutete, man könne durchaus über weitere Gaslieferungen an die Ukraine verhandeln, hatte er sehr viel bestimmter rechtliche Garantien des Westens, der NATO und der EU für die politische Neutralität der Ukraine verlangt. Die Russen reden Klartext; der diplomatische Eiertanz ist ihre Sache nicht. Missverständnissen leisten sie keinen Vorschub.
Anders als die CEOs und die Diplomatendarsteller im wirtschaftlich hoch gerüsteten Westen, wissen die Herren im Kreml, was sie mit der Wirtschaftsmacht ihres Landes, mit Gas und Öl, politisch anstellen können. So wie sie sich heute nicht scheuen, die Energieversorgung der Ukraine von der Unterwerfung des Landes abhängig zu machen, können sie morgen ganz ähnliches auch von anderen Großkunden im Gasgeschäft verlangen. Für eine Abhängigkeit, die sie dazu ermuntert, haben gerade die deutschen Politiker, allen voran Gerhard Schröder, nach Kräften gesorgt. Ungeachtet der dunklen Wolken, die seit Wochen aus dem Osten auf Europa zutreiben, wächst der Anteil der russischen Gasimporte an der deutschen Energieversorgung bis auf den Tag.
Deutsche Manager reisen zum Kotau nach Moskau, die Kanzlerin und ihr jettender Außerminister überbieten einander bei der Beschwichtigung des Volkes: Alles nicht so schlimm, weit weg ohnehin. Und sicher ist hierzulande nicht mit dem Aufmarsch irgendwelcher Separatisten zu rechnen, die, ausgestatteten mit russischen Waffen, die Autonomie Sachsens oder Brandenburgs erstreiten wollten, weil da womöglich der eine oder andere Offizier der Roten Armee einen Sohn oder eine Tochter hinterlassen hat.
Was aber, wenn Putin einfiele, von den größten Gaskunden seines Landes ebenfalls mehr politische Neutralität zu verlangen, am besten den Austritt aus dem atlantischen Bündnis? Das würde er nie tun, er ist doch kein Idiot! Du lieber Himmel, dass er sich die Krim im Handstreich aneignen könnte, hätte vor einem Jahr auch kein Mensch geglaubt. Noch jetzt orakelt der Westen darüber, wer die gut bewaffneten Aufständischen in der Ostukraine sein könnten. Ihre nigelnagelneuen Kampfanzüge lassen sie sich von Armani nähen, die Sturmgewehre werden in Heimarbeit hergestellt. Alles wird für möglich gehalten, solange es uns davor bewahrt zu sehen, wer da seine Hände wirklich im Spiel hat. Die Politiker zumal halten sich die Hand vor die Augen.
Vor allem aber, war es nicht der deutsche Außenminister, der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier, der den Ukrainern ohne Not die Tür vor der Nase zuschlug? Putin musste gar nicht mehr selbst auf die Idee kommen, vom Westen eine rechtliche Garantie der politischen Unabhängigkeit der Ukraine zu verlangen. Der deutsche Außenminister hat sie ihm souffliert, als er den Ukrainern vorauseilend erklärte, sie sollten sich die Hoffnung auf eine NATO-Mitgliedschaft ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen.
Sieht man es rückschauend, so haben deutsche Politiker, namentlich Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, von Anfang an, seit die Bürger in Kiew auf die Straße gingen, um Putins Statthalter Janukowytsch zu stürzen, alles getan, um dem russischen Präsidenten den Rücken freizuhalten.
Zuerst ließ die Bundeskanzlerin Vitali Klitschko abblitzen, als er um die Verhängung wirksamer Sanktionen bat. Dann versuchte Steinmeier die Aufständischen in letzter Minute zu einem Arrangement mit dem korrupten Machthaber zu überreden. Und als das schiefging, die Russen die Krim an sich brachten, waren es wiederum die Deutschen, die von einer Wirtschaftsblockade nichts wissen wollten. Ganze 33 Russen und Ukrainer kamen auf eine schwarze Liste, die sie mit Einreiseverboten und Kontosperrungen belegt. Doch selbst das wurde noch so rechtzeitig angekündigt, dass den Betroffenen genug Zeit blieb, ihr Scherflein ins Trockene zu bringen. Nicht einmal dem Wunsch der baltischen Staaten und Polens nach einer verstärkten Präsenz der NATO an den östlichen Außengrenzen wollte man in Berlin nachkommen; auch da traten die Deutschen auf die Bremse, bis ihre Verweigerung publik zu werden drohte.
Lieber als dass er Flagge zeigt, wie es ihm als Vertreter der gern beschworenen „europäischen Wertegemeinschaft“ angestanden hätte, versuchte Steinmeier den Ländern am Rande Europas eine dritten Weg schmackhaft zu mache. Sie sollten sich, erklärte er, hinfort nicht mehr zwischen der einen oder der anderen Seite entscheiden müssen. Ohne sich noch viel um die europäische Identität der Ukraine zu kümmern, verwies er sie auf jene Neutralität, deren Garantie Putin mittlerweile einfordert.
So ganz neu ist das alles nicht. Bereits vorzeiten haben die Linken davon geträumt, Deutschland aus dem atlantischen Bündnis zu lösen. Zuletzt lebte die Idee mit dem Untergang der DDR wieder auf. Nur hatten die Menschen damals andere Probleme, sie wollten die Freiheit genießen, waren mehrheitlich froh, endlich im westlichen Bündnis angekommen zu sein. Die NATO war den Ostdeutschen allemal lieber als der Warschauer Pakt, für den sie über Jahrzehnte unter Waffen standen. Ob man davon heute noch ausgehen könnte, scheint mehr als fraglich. Der um sich greifende Antiamerikanismus würde jedem in die Hände spielen, der es darauf anlegte, bestehende Verträge aufzukündigen, um sich etwa einer eurasischen Vereinigung zu assoziieren.
An Politikern, die uns dann erklärten, dass das sinnvoll sei, weil es zum Beispiel die Energieversorgung des Landes über längere Zeiträume sicherte, würde es nicht fehlen. Der Pragmatismus der Konsumgesellschaft kann vieles zu Wege bringen. Fürs erste hat er schon einmal verhindert, dass wir denen, die in Kiew für Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind, so beigestanden haben, wie es sich für überzeugte Demokraten gehört hätte.
Vielleicht haben sie es gar nicht gemerkt, aber damit, dass sie Putin und Konsorten im Konflikt um die Ukraine spontan die Stange hielten, wenn auch etwas verdruckst, haben die Politiker Europas und die deutschen insbesondere, die Büchse der Pandora geöffnet. Ob sie das ahnungslos oder wohlüberlegt taten, ist am Ende ohne Belang.
Wladimir Putin treibt sie oder so vor sich her. Bis an welche Grenzen bleibt abzuwarten. Angela Merkel, von der es heißt, sie spräche perfekt russisch, wird das „den Menschen draußen im Lande“ nachher sicher zu erklären wissen.