Kanada führt ein drittes Geschlecht ein

Mit einem neuen Gesetz schützt Kanada Transgender umfassend vor Benachteiligungen. Damit stärkt das Land seine Rolle als Vorreiter in diesem Bereich.

Jörg Michel, Edmonton
Drucken

Das kanadische Oberhaus hat am Donnerstag auf Initiative von Premierminister Justin Trudeau ein umfassendes Gesetz zum Schutz und zur Gleichberechtigung von Transgendern beschlossen. Das Unterhaus hatte diesem schon im Herbst zugestimmt. Dabei geht es um Personen, die sich mit ihrem angeborenen Geschlecht nur unzureichend oder gar nicht identifizieren. Das neue Gesetz schreibt erstmals verbindlich fest, dass niemand vom Staat wegen seiner geschlechtlichen Identität benachteiligt werden darf.

Konkret wird das neue Gesetz dazu führen, dass mehr staatliche Einrichtungen geschlechtsneutrale Toiletten einführen müssen; Gefängnisse müssen Insassen künftig gemäss ihrer Geschlechtsidentität unterbringen. Das Gesetz wird auch auf Behörden ausstrahlen: So sollen Inhaber von Reisepässen und Ausweisen künftig ein «neutrales Geschlecht» wählen können. Besucher aus dem Ausland können bei der Beantragung der neuen elektronischen Einreisegenehmigung beim Geschlecht neuerdings auch «Sonstiges» ankreuzen.

Passanten in Toronto. (Bild: Imago)

Passanten in Toronto. (Bild: Imago)

Die Provinzen, die in Kanada für Erziehung, Gesundheit und Soziales zuständig sind, haben inzwischen ebenfalls Schutzgesetze verabschiedet. In Ontario wurden Angaben zum Geschlecht auf Führerausweisen und Versichertenkarten gestrichen. In British Columbia können Bürger das Geschlecht auf der Geburtsurkunde ändern lassen, ohne vorher einen operativen Eingriff vollzogen haben zu müssen. In Alberta müssen alle Schulen geschlechtsneutrale Toiletten einrichten, und Lehrer werden angehalten, im Unterricht geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden.

International gilt Kanada längst als Vorreiter bei Rechten von Homosexuellen, Transgendern und Intersexuellen. Unter Trudeaus Vater Pierre Elliott, dem 15. Premierminister Kanadas, wurden homosexuelle Handlungen 1969 weitgehend entkriminalisiert. Trudeau Seniors geflügelter Satz «Der Staat hat in den Schlafzimmern der Nation nichts zu suchen» von 1967 gilt als Auftakt einer anhaltenden Liberalisierungswelle in Kanada. Sexuelle Minderheiten werden seit 1982 von einem Grundrechtekatalog in der Verfassung geschützt und dürfen seit 1992 im Militär dienen. 2005 öffnete Kanada als erstes Land ausserhalb Europas und als viertes Land weltweit die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Anders als etwa in Deutschland können Angehörige sexueller Minoritäten auch als Paar Kinder adoptieren. Gemäss einer Umfrage sind 84 Prozent der Kanadier für das neue Gesetz, und 70 Prozent befürworten eine Gesellschaft mit fliessenden Geschlechterrollen.

Weitere Themen