Ulrich Baare, meinten Sie “probates” Mittel?
Ein politisches (oder allgemein soziales) System gerät immer dann ins Wanken, wenn weniger als 50% aller Mitglieder von seinem Erhalt profitieren. Das ist völlig unabhängig von der inneren Herrschaftsstruktur und kann Demokratie, Oligarchie und Diktatur positiv wie negativ betreffen. Wenn die 50% Marke unterschritten wird und die Leute nach neuen Auswegen, dann orientieren sie sich idR an den knappsten Faktoren (für das persönliche Profitieren) und an den größten Risiken (die sie vermeiden wollen). Hinzu kommt ein wenig Zufall, das Charisma einer Person, ein Vorbild in der Nachbarschaft oder der Vergangenheit, oder eine neue Idee/Philosophie. So kann man eigentlich alle Systemänderungen relativ gut strukturieren. Für DE und die EU beispielsweise liegt der knappe Faktor bei der Orientierungslosigkeit der Führungselite und das grösste Risiko bei den großen Umverteilungsmaschinen, die uns beherrschen. Noch liegen wir in DE bei ca. 60% Profiteueren, aber der Anteil wird in den kommenden 15-25 Jahren auf max. 50% sinken, u.a. weil die Renten so geschliffen werden, dass ca. 50% der Leute keine adäquate Rentenvorsorge mehr haben (siehe Rürup). Der Erodierungsprozess wird massiv beschleunigt durch die Fehlimmigration und die EU/Euro-Krise, die massiv mehr Geld kosten wird als bislang (per Inflation). In den übrigen EU Ländern, va. den GIPS Ländern ist die 50% Schranke bereits unterschritten. Das wird in den nächsten 10 Jahren große Änderungen bringen und uns am Ende in ein neues Gleichgewicht hieven mit kleineren politischen Einheiten, da unsere Knappheiten und Risiken am besten beseitigen. Auf dem Weg dorthin kann es aber durchaus sein, dass uns eine kleine EU-Diktatur im Weg stehen wird. Diese wird sich aber nicht halten können, weil sie eben nicht für >50% persönlichen Profit erschaffen kann (eher 30-40%) und weil sie weder die grösste Knappheit, noch das größte Risiken beseitigen kann, sondern diese eher noch verstärken wird.
Vielleicht sollte man sich klar machen, dass die meisten Menschen nicht Freieit und Demokratie wollen, sondern ihr ganz persönliches Glück. und dieses Glück ist meist relativ trivial: etwas Wohlstand, soziale Anerkennung, Karriere, das Gefühl etwas zu sein, wichtig zu sein. Nun kann Demokratie dafür ein propanes Mittel sein (und ist es meiner Überzeugung nach auch). Aber: Jede Diktatur befriedigt diese Bedürfnisse ebenfalls. Nicht bei allen, vielleicht auch nicht bei einer Mehrheit, aber bei genug Leuten. Nämlich bei allen, die in dieser jeweiligen Diktatur Karriere machen (ob direkt oder einfach, indem sie sich anpassen), deshalb auch etwas am Wohlstand und an der Macht beteiligt sind und allzuoft deshalb auch persönliches Glück erfahren. Sie sind wer, sie haben Erfolg, sie haben etwas Wohlstand, sie erfahren persönliches Glück, finden ihre Frau, haben eine tolle Zeit einfach unter den Umständen, die herrschen und die sie als gegeben hinnehmen… Denn auch Diktaturen stützen sich auf breite Bevölkerungskreise. Und der ‘gemeine Russe’ hat (wie übrigens auch der gemeine Deutsche in den 20er und 30er Jahren) genau das erfahren seiner Erinnerung nach unter der Diktatur bzw. im vorhergehenden System (Kaiserreich /Sowjetunion). Und danach sehnt er sich zurück - und will deshalb nicht ein System haben, das er mit Armut und Chaos verbindet, sondern den starken (paternalistischen) Vater, Charismatiker, Heilsbringer, Führer, der die gute alte Zeit, ausgedrückt an den geglaubten Idealen der guten alten Ordnung, wieder auferstehen lässt. Und das erleben wir gerade in Russland unter anderem - man sollte nicht vergessen, dass ‘die Russen’ die ‘Herrscherbevölkerung’ war in der UdSSR und sehr viele ihre gute Zeit damals erlebten.
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.