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Radovan Karadzic: Nationheld und "Europas Bin Laden"

Foto: Michael Kooren/ dpa

Radovan Karadzic Psychiater, Dichter - Kriegsverbrecher

Schuldig wegen Völkermordes: Radovan Karadzic ist zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden - ein Mann, der früher Gedichte schrieb und als Psychiater arbeitete.

Als Radovan Karadzic im Juli 2008 gefasst wurde, sprachen Diplomaten von einem historischen Tag. Der "europäische Bin Laden" sei nun gefasst, jubelte Richard Holbrooke, der frühere US-Sondervermittler für den Balkan. Fast acht Jahre später hat das Uno-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag den ehemaligen bosnischen Serbenführer Karadzic jetzt zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt.

Bestraft wurde einer der brutalsten Protagonisten der Balkankriege in den Neunzigerjahren.

Für viele Menschen auf dem Balkan steht Karadzic für die grausamsten Verbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber nationalistische Serben in Bosnien feiern ihn als Helden. Sein Name ist vor allem mit der 43 Monate andauernden Belagerung Sarajevos in den Jahren 1992 bis 1995 verbunden. Dabei wurden nach Schätzungen etwa 10.000 Menschen getötet.

Karadzic wird auch für das Massaker von Srebrenica verantwortlich gemacht. Serbische Einheiten unter General Ratko Mladic überrannten damals die Uno-Schutzzone in Ost-Bosnien und ermordeten 7800 muslimische Männer und Jungen. Es war ein ungeheuerlicher Exzess von Gewalt. Die niederländischen Blauhelm-Soldaten, die die Menschen schützen sollten, schritten gar nicht oder viel zu zögerlich ein.

Als Präsident der selbst ernannten bosnischen Serbenrepublik ordnete Karadzic internationalen Beobachtern zufolge eine brutale Kampagne "ethnischer Säuberungen" gegen die muslimische Bevölkerung an. Etwa eine Million Menschen wurden vertrieben. Insgesamt wurden im Bosnien-Krieg fast 100.000 Menschen getötet, Zehntausende Frauen vergewaltigt.

Kindergedichte und serbische Volksmusik

Mord, Vertreibung, Vergewaltigung - die Verantwortung für solche Gräueltaten passen auf den ersten Blick nicht zu den Eckdaten über Karadzic: Vater von zwei Kindern, ein gelernter Psychiater, der in seiner Freizeit Kindergedichte und serbische Volksmusik schrieb. Doch Gewalt und Unterdrückung ziehen sich durch die Familiengeschichte des im Juni 1945 Geborenen. Karadzics Vater kämpfte auf Seiten der Tschetniks, der serbischen Ultranationalisten, die mit den Nazis kollaborierten.

Unter der Herrschaft der Kommunisten kam der Vater in Haft, Karadzics Familie wurde lange Zeit geächtet. Im Jahr 1990 wagte Karadzic, inzwischen ein respektierter Psychiater, mit der Gründung der bosnisch-serbischen Nationalistenpartei SDS den Sprung in die Politik. Angetrieben wurde er dabei von dem Vorhaben, einen serbischen Staat zu gründen. Dann begannen die Gräueltaten.

Dreizehn Jahre im Versteck

Das Referendum für die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas im März 1992 war für Karadzic Anlass für seine militärische Kampagne gegen alle Nicht-Serben. Obwohl er zunächst von der jugoslawischen Armee unterstützt wurde, folgte im Jahr 1994 der Bruch mit seinem Mentor Slobodan Milosevic. Denn im Gegensatz zu dem damaligen serbischen Präsidenten lehnte Karadzic den internationalen Friedensplan von Dayton ab.

Seine Anklage in Den Haag 1995 stellte Karadzic endgültig ins Abseits. Nachdem ihm alle öffentlichen Auftritte untersagt worden waren, gab er im Jahr 1996 die Präsidentschaft der bosnischen Serbenrepublik an seine Stellvertreterin Biljana Plavsic ab. Zunächst führte er daraufhin in der Serben-Hochburg Pale ein fast ungestörtes Leben.

Im Jahr 1997 erklärte sich Karadzic überraschend bereit, sich der serbischen Justiz zu stellen, doch kurze Zeit später tauchte er unter. Mit der Hilfe zahlreicher Anhänger konnte er sich 13 Jahre lang verstecken, die Gruppe seiner Unterstützer wurde mit der Zeit jedoch immer kleiner. Sogar seine Ehefrau rief ihn im Fernsehen dazu auf, sich zu stellen.

Obwohl das US-Außenministerium auf seine Ergreifung eine Belohnung von damals mehr als drei Millionen Euro aussetzte, gelang es Karadzic immer wieder, sich einer Festnahme zu entziehen. Zahlreiche Fahndungseinsätze und Razzien in den Häusern von Verwandten verliefen erfolglos. Die frühere Uno-Chefanklägerin Carla del Ponte warf Serbien wiederholt vor, an einer Festnahme Karadzics nicht interessiert zu sein.

Erst im Juli 2008 wurde Karadzic in der serbischen Hauptstadt gefasst. Er hatte inzwischen eine andere Frisur, hatte sich einen langen grauen Bart wachsen lassen und trug eine Brille. Gut ein Jahr später wurde in Den Haag der Prozess gegen ihn eröffnet.

Im Video: Karadzic zu 40 Jahren Haft verurteilt

als/AFP