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Misslungene PR: Tuffis Schwebebahnfahrt

Foto: Röhnert / ullstein bild

Rummel um Tuffi Der fliegende Elefant von Wuppertal

Dieser Marketing-Gag ging gründlich baden: Am 21. Juli 1950 reiste eine Elefantendame mit der Wuppertaler Schwebebahn. Als Tuffi in Panik geriet, nahm die Fahrt eine dramatische Wendung.

Franz Althoff war Zirkusmann durch und durch. 1908 in der Nähe von Bonn geboren, stammte er aus einer alten Zirkusfamilie, deren Geschichte als Schausteller bis ins 17. Jahrhundert zurückreichte. Seine Vorfahren hatten sich auf Tierdressuren spezialisiert und zeigten vor allem Kunststücke mit Pferden. Aber auch exotische Tiere lernte Franz im ältesten deutschen Zirkusunternehmen, dem "Circus Althoff", schon früh kennen. Vielleicht war das der Grund, warum er später mit seinem eigenen Unternehmen, dem 1937 gegründeten "Rennbahncircus", so stark auf Tierdressuren setzte - und ab 1949 ganz besonders auf eine Elefantenkuh: Tuffi.

Tuffi war 1946 in Indien geboren und drei Jahre später an Althoff verkauft worden. Das Jungtier war noch klein, als es nach Deutschland kam, lernte aber schnell und ließ sich gut dressieren. Weil sie so zutraulich war, setzte Franz Althoff die junge Elefantendame oft bei Werbeauftritten ein. Im Ruhrgebiet fuhr sie Straßenbahn, Solinger Bauarbeitern brachte sie Bierkästen ans Gerüst, in Duisburg schipperte sie bei einer Hafenrundfahrt übers Wasser. Stets kündigte Vermarktungstalent Franz Althoff diese Auftritte vorher an und sorgte so zuverlässig für einen Menschenauflauf, Fotografen - und Aufmerksamkeit für seinen Zirkus.

Tuffi am Fahrkartenschalter der Schwebebahn

Tuffi am Fahrkartenschalter der Schwebebahn

Selbst wenn mal etwas schiefging, wurde Tuffi verziehen. In Altötting hatte sie so großen Durst, dass sie einen Weihwasserbrunnen leer soff; in Oberhausen fuhr sie zwar erst problemlos mit der Straßenbahn zum Rathaus, verspeiste dann allerdings eine Zimmerpflanze und einen Blumenstrauß und erleichterte sich anschließend plätschernd auf den Rathausteppich. Althoff lächelte, zahlte die Schäden und freute sich über den Werbeeffekt der Auftritte. Doch ihr größter PR-Coup stand Tuffi noch bevor.

Das Spektakel beginnt

Im Juli 1950 startet der Zirkus Franz Althoff sein Gastspiel in Wuppertal. Auch hier will der Zirkusdirektor einen Marketinggag landen und beschließt, mit Tuffi eine Schwebebahnfahrt zu machen - was sonst? Schließlich ist das weltweit einzigartige Transportmittel, 1901 in Betrieb genommen, als Wahrzeichen der Stadt weithin bekannt.

Und so schiebt sich am 21. Juli 1950 an der Schwebebahnstation Alter Markt in Wuppertal-Barmen ein Elefantenrüssel durch das Gitter am Fahrkartenschalter. Fünf Fahrkarten zweiter Klasse wechseln den Besitzer - vier für die junge Elefantenkuh und eine für den Zirkusdirektor. Wie schwer Tuffi zu diesem Zeitpunkt ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren: Manche Quellen sprechen von 200, andere von bis zu 700 Kilogramm. Kein Wunder, dass Franz Althoff im Vorfeld seine ganze Überredungskunst aufbringen musste, um die Behörden von der Fahrt zu überzeugen.

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Misslungene PR: Tuffis Schwebebahnfahrt

Foto: Röhnert / ullstein bild

Jetzt aber, kurz nach 10 Uhr, hat er die Fahrscheine in der Hand. Es geht die Stufen zum Bahnsteig hinauf, für die dressierte Tuffi kein Problem. Pünktlich um 10.30 Uhr schwebt der Wagen Nummer 13 in Richtung Elberfeld in die Haltestelle, wo ein Abteil für Tuffi und ihre Begleiter reserviert ist. Hektik kommt auf: Erst passt die Elefantendame nur knapp durch die schmale Tür der Schwebebahn, dann drängeln sich deutlich mehr Fotografen und Schaulustige in den Wagen, als abgesprochen war. Schließlich will niemand das Spektakel verpassen, wenn zum ersten Mal ein Elefant über der Wupper schwebt. Die Türen schließen sich, die Bahn setzt sich quietschend und schaukelnd in Bewegung.

Ein Elefant dreht durch

Schnell ist klar: Der Elefantenkuh wird das alles zu viel. "Die Journalisten waren schuld. Die wollten in der Schwebebahn alle das beste Foto schießen", erinnert sich Althoffs Sohn Harry, der als Zwölfjähriger bei der Schwebebahnfahrt dabei war, im Jahr 2005 im Interview mit der "Westdeutschen Zeitung". Eine Zeitzeugin gibt später zu Protokoll: "Der Schaffner war sehr aufgeregt und schrie immer: 'Ruhe bewahren! Ruhe bewahren!'" Das Gedränge sei so groß gewesen, dass Tuffi sich habe umdrehen wollen, um zu sehen, was hinter ihr los war, vermutet Harry Althoff. Wahrscheinlich kamen in dem Tier böse Erinnerungen hoch: "Sie hatte als kleiner Elefant bei ihrem Transport aus Asien in einer Kiste gesteckt und wusste, dass sie dem Licht folgen muss, um herauszukommen."

Das Licht ist hinter den Fensterscheiben zu sehen, Tuffi steigt auf eine Sitzbank - und die bricht unter dem Elefanten zusammen. Dann geht alles ganz schnell: Tuffi nimmt zweimal Anlauf, bricht gewaltsam durch Fenster und Außenwand auf der linken Seite der Bahn und stürzt rund zehn Meter tief in die Wupper, nur wenige hundert Meter hinter der Einstiegshaltestelle. Zurück bleiben ein demolierter Schwebebahnwaggon, mehrere verletzte Journalisten und eine zerstörte Kamera.

Franz Althoffs Elefantenballett 1956

Franz Althoffs Elefantenballett 1956

Foto: ullstein bild

Tuffi hat Glück im Unglück: Obwohl die Wupper hier gerade mal 50 Zentimeter tief ist, zieht sie sich bei ihrem Sturz nur ein paar Schrammen am Hintern zu, weil sie an einer schlammigen Stelle aufkommt. Franz Althoff will seinem Tier im ersten Moment sofort hinterherspringen, wird aber von seinem Sohn Harry und anderen Fahrgästen zurückgehalten. Die Fotografen sind so perplex, dass keiner von ihnen auf den Auslöser drückt. Ein Foto vom Sprung gibt es deshalb nicht, nur mehr oder weniger schlecht gemachte Fotomontagen. "Ich bin an der nächsten Haltestelle raus und dann zurück", erinnert sich Helmut Köhler, damals als Journalist dabei. "Da haben wir dann die Bilder gemacht, wie er im Wasser steht, und dann war die große Sensation fällig."

Tuffis Wupperfall als Rechtsfall

Die Sensation hatte für den Zirkusdirektor ein juristisches Nachspiel: Er musste sich wegen Körperverletzung und - zusammen mit dem Leiter der städtischen Verkehrsabteilung - wegen fahrlässiger Transportgefährdung verantworten. Die beiden Männer wurden zu einer Geldbuße von 450 Mark verurteilt, und das Gericht gab sich humorfrei: Die Schwebebahn sei als Transportmittel für Elefanten ungeeignet. Zwar sei die Belastungstoleranz des Fahrzeugs nicht überschritten gewesen, Althoff habe aber gegen die Beförderungsbedingungen verstoßen, die er mit dem Fahrscheinkauf anerkannt habe. Auch gegen die Regel, dass - mit Ausnahme von Blinden- und Polizeihunden - keine Tiere in der Schwebebahn mitgenommen werden dürfen.

Aber Franz Althoff war eben Profi und Zirkusmann durch und durch. Am Abend dieses ereignisreichen Freitags stand Tuffi schon wieder in der Manege in Wuppertal-Barmen und zeigte ihre Dressur. Und Althoff baute den Fall aus der Schwebebahn in seine Nummer ein. "Na, möchtest du noch mal Schwebebahn fahren?", fragte er von da an bei Tuffis Auftritten: "Nein, oder? Da hast du doch einen großen Schreck gekriegt, was?" Auch nach dem Sturz in die Wupper war er weiter mit dem Tier zu Werbezwecken in Straßenbahnen unterwegs - von da an allerdings mit ein wenig mehr Platz im Wagen.

1968 löste sich der Zirkus Franz Althoff auf, die Elefantendame wurde vom französischen Cirque Alexis Gruss übernommen, wo Tuffi noch bis 1989 lebte, zwei Jahre länger als Franz Althoff.

Der Elefant blieb unvergessen: Tuffi prangte fortan auf den Produkten einer Molkerei und zierte einige Jahre lang sogar ein Busreiseunternehmen - sowie etliche Marketingartikel, die bis heute in Wuppertal verkauft werden.

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