Amazon-Mitarbeiterin:"Mit den Nerven fertig"

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Wenig luxuriös und viel zu eng: Amazons Zentrale in Seattle. Ein neuer Campus wird nun gebaut. (Foto: Kevin P. Casey/Bloomberg)

Eine Frau erzählt, warum sie den Management-Job beim Online-Händler in Seattle nach kurzer Zeit hinschmiss.

Interview von Kathrin Werner

Ein neuer Job - und das auch noch bei Amazon. Eine neue Herausforderung, ein Umzug an die andere Seite des Landes. Das klang aufregend für die junge Frau aus New York, die sich in ihrem alten Job bei einer großen Einzelhandelskette langweilte. Vor etwas mehr als zwei Jahren packte sie ihre Sachen und begann im mittleren Management im Amazon-Hauptquartier in Seattle. Inzwischen ist sie wieder weg, sie hat es nicht mehr ausgehalten bei dem Online-Händler. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen.

SZ: Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag bei Amazon erinnern?

Natürlich, ich hatte mich sehr darauf gefreut und war ziemlich aufgeregt. Das Bewerbungsverfahren war hart, ich war stolz, dass ich es geschafft hatte. Aber als ich bei Amazon ankam, waren da noch gut 350 andere, und ich musste erst einmal Schlange stehen: bei der Ausgabe der Laptops, der Taschen, beim Essen. Und bei der Registrierung. Nach zwei, drei Monaten haben ganz viele von uns gemerkt, dass es nicht so toll ist bei Amazon, wie wir dachten.

Konnte man nicht kündigen?

Die Sache waren die Umzugskosten, die Amazon für die neuen Mitarbeiter übernimmt. Bei mir lagen sie bei 20 000 Dollar. Wenn man weniger als zwei Jahre bei Amazon bleibt, muss man das Geld zurückzahlen, was die meisten nicht können. Ich bin nach einem Jahr und acht Monaten gegangen und hatte Glück, dass sie nicht alles, sondern nur 5000 Dollar zurückgefordert haben. Außerdem bekommt man nach zwei Jahren einen Bonus in Aktien. Ich habe überlegt, ob ich deswegen noch vier Monate durchhalten könnte, habe mich aber dagegen entschieden. Sie hätten mich noch härter gepusht und ich wollte nicht wieder krank werden.

Warum waren Sie krank?

Kurz nachdem ich bei Amazon angefangen hatte, bin ich krank geworden und hatte eine schwierige Operation. Als ich danach wieder zurückkam, ging alles den Bach herunter. Sie haben kritisiert, dass ich nicht mehr so gut bin wie am Anfang. Drei Monate nach der OP hat mich Amazon als "Low Performer" eingestuft. Nach meiner zweiten OP hat mich meine Chefin andauernd angerufen und gefragt, wann ich endlich wieder ins Büro komme. Ich wollte mich in eine andere Abteilung versetzen lassen, aber das haben sie abgelehnt. Sie haben gesagt, dass das Feedback von meinen Kollegen dafür zu schlecht sei.

Haben die Kollegen dafür das Anytime Feedback Tool benutzt, die Software, mit der man sich über Kollegen bei den Vorgesetzten beschweren kann?

Ja, sie nennen es das Telefon-Werkzeug, weil man es über sein Firmentelefon ansteuern kann. Da kann jeder irgendetwas über andere Leute erzählen. Meistens hat man eine gewisse Ahnung, wer sich über einen beschwert hat, aber man erfährt es nie offiziell und kann sich darum auch schlecht verteidigen.

Was haben Sie denn falsch gemacht?

Ich habe gedacht, dass Amazon super professionell ist und ich da viel lernen kann. Aber das ist gar nicht so. Es gibt nicht viele Anweisungen von Vorgesetzten. Sie erwarten, dass du selbst herausfindest, was zu tun ist. Es gibt keine festen Strukturen. Obwohl Amazon ein Milliardenkonzern ist, ist er stolz auf seine Start-up-Kultur. Das ist prima für Leute, die sich hocharbeiten wollen. Das Problem ist aber, dass keiner die Alltagsarbeit macht, die nicht viel Ruhm einbringt. Für mich war das schwierig, weil ich anders als die meisten anderen schon Erfahrung in einem Handelskonzern hatte und mich über das Chaos aufgeregt habe. All meine Erfahrungen haben nichts gezählt, weil nach Ansicht von Amazon die anderen Unternehmen sowieso alles falsch machen. Ich galt als zu traditionell.

Was muss man denn tun, um Erfolg bei Amazon zu haben?

Man muss halt reinpassen. Man muss gut im Networking sein, sich mit den richtigen Leuten gutstellen. Und man muss dafür sorgen, dass man nur die Arbeit macht, die einen glänzen lässt, und das Alltagszeug andere erledigen lässt. Wenn man nur das tut, was erwartet wird, ist es zu wenig. Man muss sehr forsch sein, darf keine Angst haben, hartes Feedback zu geben oder zu bekommen. Man muss jemand sein, dem es egal ist, dass derjenige, mit dem man spricht, auch ein menschliches Wesen ist.

Haben Sie versucht, sich zu ändern?

Ich konnte es ihnen nie recht machen. Einmal haben wir an einem großen Projekt gearbeitet. Ich bin über Nacht im Büro geblieben und habe alles gerade rechtzeitig vor dem Meeting fertig bekommen. Und dann ging es bei dem Meeting plötzlich gar nicht mehr um das Projekt. Ich war mit den Nerven fertig. Ein Kollege hat dann unser Projekt angesprochen und erzählt, dass ich die Nacht durchgearbeitet habe. Das hat aber eher den Eindruck vermittelt, dass ich meine Arbeit nicht in der normalen Zeit erledigen kann. Wenn man bei Amazon nicht lange arbeitet, macht man etwas falsch. Und wenn man lange arbeitet, denken sie, dass man nicht smart genug ist.

Wie waren denn sonst die Arbeitszeiten?

Die Arbeitswoche begann immer am Sonntagnachmittag. Dann habe ich angefangen, die Woche zu planen. Im Büro war ich morgens zwischen acht und neun, so um 19 Uhr war ich wieder zu Hause, habe eine Stunde Pause gemacht, dann habe ich meistens noch vier Stunden am Laptop gesessen. Wenn ich überlege, wie viel ich gearbeitet habe, war das Gehalt wirklich nicht besonders gut. Und die meisten anderen haben es auch so gemacht wie ich. Wenn wir mal Zeit hatten, sind wir mit den anderen etwas trinken gegangen zu irgendeiner Happy Hour. Außer anderen Amazon-Leuten kannten die meisten ja niemanden in Seattle, alle waren neu. Ich glaube, dass mein größter Fehler war, dass ich den anderen bei solchen Gelegenheiten zu sehr vertraut habe. Ich habe zu viel darüber geredet, wie schlecht es mir geht. Das haben sie dann den Chefs weitererzählt. Man muss sehr vorsichtig sein, was man sagt.

Wie viele von den Leuten, mit denen Sie gemeinsam angefangen haben, sind denn heute noch bei Amazon?

Die wenigsten. Manchmal sind Leute in Meetings attackiert worden, haben danach ihre Taschen genommen, und ich habe sie nie wieder gesehen. Aber das macht Amazon nichts. Ein Mitarbeiter hat Jeff Bezos ( den Amazon-Gründer und -Chef, Anm. d. Redaktion) auf einer Mitarbeiterversammlung mal darauf angesprochen, dass so viele Leute so schnell kündigen. Er hat geantwortet, dass für jeden, der Amazon verlässt, draußen fünf Leute Schlange stehen, die hier anfangen wollen.

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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