Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste:Digitale Desinformation gefährdet freie Wahlen

FILE PHOTO: Facebook CEO Mark Zuckerberg speaks at Facebook Inc's annual F8 developers conference in San Jose

Auf der jährlichen Entwicklerkonferenz des Konzerns versprach Facebook-Gründer Marc Zuckerberg 2018, mehr gegen unlautere Wahlbeeinflussung zu tun.

(Foto: REUTERS)
  • Die Freiheit von Wahlen wird durch Falschnachrichten und Desinformation im Netz gefährdet - zu diesem Schluss kommt ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags.
  • Während Frankreich und Großbritannien Gesetze erlassen haben, gibt es in Deutschland kaum Regulierung für politische Online-Werbung.

Von Simon Hurtz

Einen Tag, nachdem Donald Trump zum US-Präsident gewählt worden war, ließ sich Mark Zuckerberg zu einer Behauptung hinreißen, die er bald bereuen sollte. Es sei eine "ziemlich verrückte Idee", dass Falschnachrichten auf Facebook den Ausgang der Wahl beeinflusst hätten. Dieser Satz ist ausgesprochen schlecht gealtert. Nur knapp ein Jahr später sagte der Facebook-Chef, er bedaure seine abschätzige Aussage.

Zuckerbergs Realitätsverweigerung und Zuckerbergs Entschuldigung zeigen, wie fundamental sich der Blick auf politische Desinformation verändert hat. Vor der US-Wahl 2016 diskutierten allenfalls Experten, ob und wie sich Online-Plattformen für Propaganda missbrauchen lassen. Seit dem Trump-Schock fallen vor jeder Wahl Begriffe wie "Fake News", "Microtargeting" und "Social Bots".

Politische Desinformation ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen - aber noch nicht in der Mitte der Politik. Deshalb hat Grünen-Politikerin Renate Künast die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags beauftragt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das Gutachten "Ansatz zur Regulierung von Wahlwerbung im Internet" liegt der SZ vor und zeigt, wie Deutschland und andere Staaten versuchen, Online-Wahlkämpfe abzusichern.

Während analoge Werbeformen wie TV-Spots und Wahlplakate strikt reguliert sind, fehlen entsprechende Gesetze für digitale Kampagnen. "Das Gutachten unterstreicht den Regulierungsbedarf bei Microtargeting, Dark Ads und Fake News als zentral für die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter", sagt Künast. "Es darf kein Geschäftsmodell mehr für Diensteanbieter sein, Wahlkampfwerbung im Dunkeln zuzulassen."

Warum der Begriff "Fake News" problematisch ist

Das Grundgesetz sieht vor, dass Wahlen allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim ablaufen müssen. Die Experten der Wissenschaftlichen Dienste halten es für "fraglich, (...) inwieweit die 'Freiheit' der Wahl auch vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen des digitalen Zeitalters gesetzlich geschützt ist". Deshalb sei es entscheidend, dass der Gesetzgeber digitale Wahlkämpfe reguliere. Das gelte insbesondere für Falschnachrichten und Desinformation.

Die Gutachter verwenden immer wieder den Begriff "Fake News", obwohl sie die Bezeichnung zu Beginn selbst als vage bezeichnen und sich an einer Definition versuchen. Der Ausdruck ist seit einigen Jahren ein Kampfbegriff, den Trump, die AfD und andere politische Akteure nutzen, um missliebige Berichte zu diskreditieren. Die SZ schreibt deshalb "Falschnachrichten", wenn es um nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen geht. "Desinformation" ist weiter gefasst und schließt auch irreführende oder bewusst aus dem Zusammenhang gerissene Darstellungen mit ein.

Frankreich und Großbritannien regulieren politische Werbung

In ihrer Ausarbeitung vergleichen die Wissenschaftlichen Dienste die Regelungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Vor allem das französische "Gesetz zur Bekämpfung der Manipulation von Information" sieht drastische Maßnahmen vor. Bereits drei Monate vor einer Wahl können staatliche Stellen Rundfunkbetreiber und Internetplattformen sperren und sogar Gefängnisstrafen verhängen.

Außerdem werden Online-Plattformen wie Facebook dazu verpflichtet, offenzulegen, wer politische Anzeigen schaltet und wie viel Geld dafür fließt. Auch in Großbritannien beschäftigen sich mehrere Untersuchungskommissionen mit dem Gefahrenpotenzial digitaler Desinformation. Im Mai kündigte die britische Regierung gesetzliche Maßnahmen an, um Online-Wahlkämpfe stärker zu regulieren.

"Während andere Länder voranschreiten, mangelt es in Deutschland an zielgerichteten Vorgaben für Transparenz digitaler Wahlwerbung", sagt Künast. "Wer ist für einen Werbeinhalt verantwortlich und wer hat die Verbreitung finanziert? Solche Informationen vorzuenthalten, verhindert einen offenen und fairen Wahlkampf." Deutschland konzentriert sich derzeit darauf, sogenannte Hasskriminalität zu bekämpfen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sieht Bußgelder für Plattformen vor, die strafbare Inhalte nicht innerhalb bestimmter Fristen löschen. Für politische Online-Werbung gibt es zwar einige Regelungen im Rundfunkstaatsvertrag, spezifische Regulierung fehlt bislang aber.

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