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Freiwillig wird er nicht abtreten: Der Fall Maaßen: Im Berliner Politzirkus darf nicht jeder sagen, was er denkt
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Hans-Georg Maaßen
dpa/Bernd von Jutrczenka Der Koalitionsstreit um seine umstrittene Äußerungen zu den Angriffen auf Ausländer in Chemnitz war eskaliert: Verfassungsschutzpräsident Maaßen.
  • FOCUS-online-Reporter

Wie FOCUS Online erfuhr, will der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz entgegen der Forderung der SPD nicht freiwillig abtreten, inzwischen erreichen die Attacken auf den Mittfünfziger durch Politik und Teile der Medien ein fragwürdiges Niveau.

Mitunter erinnert der medial-politische Umgang mit Hans-Georg Maaßen, dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), an einen Karnevalsklassiker des kölschen Komponisten Jupp Schmitz: „Es ist noch Suppe da, es ist noch Suppe da. Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Wer hat noch nicht, wer will nochmal?“

Von allen Seiten wird gekübelt, jeder darf mal draufspucken – sei es die Politik rot-, grün oder tiefrot gefärbt oder Teile der Medien: Die ZDF-"heute-show" rückte Maaßen gar in die Nähe eines "Schädlings". Das sollte Satire sein. Dabei scheinen „die Komiker“ aus Mainz wohl vergessen zu haben, dass die Nazis in ihrer unsäglichen Propaganda den Begriff des Volksschädlings unter anderem als Beleg für die Judenverfolgung verwandt hatten. Später hat sich der Sender zwar für die Entgleisung entschuldigt, aber im digitalen Zeitalter ist Gesagtes im Netz kaum noch rückgängig zu machen.

Maaßen trifft sich auch mit Abgeordneten der Linken

In der Causa Maaßen gehört der Tabubruch offenbar zum guten Ton: In Kommentaren gilt der Hüter des Grundgesetzes als Verfassungsfeind, Kolumnisten überbieten sich in Superlativen. Maaßen habe in seiner Lagebeurteilung zu den rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz die Interessen der AfD bedient und „braunes Etui“ benutzt, als er die Authentizität eines Videos der Antifa-Gruppe „Zeckenbiss“ zu einem Übergriff auf Ausländer anzweifelte.  Auch wird der Bericht der "Welt" einfach für bare Münze genommen, dass Maaßens Behörde vor seiner öffentlichen Äußerung den kurzen Clip gar nicht überprüft habe. Passt doch ins Bild.

Schließlich hat sich der BfV-Päsident gleich fünf Mal mit Bundestagsabgeordneten der AfD getroffen – welch ein Skandal. Dabei ist Maaßen insgesamt 230 Mal mit Parlamentariern zusammenkommen. Darunter auch mit Vertretern der Linkspartei, die den Inlandsnachrichtendienst gerne abschaffen würden. Aus Sicht der tiefroten Politiker nur zu verständlich: Denn seit dem Mauerfall beobachten die Verfassungsschützer die Kommunistische Plattform (KPF) der Partei Die Linke.

Laut dem aktuellen BfV-Report gilt die 1200 Mitglieder zählende Gruppierung als „stärkster offen extremistische Zusammenschluss in der Partei Die Linke. Ziel der KPF ist die Überwindung des Kapitalismus als Gesellschaftsordnung und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft“, heißt es dort. Und weiter: „In der Partei Die Linke ist die KPF die Gruppierung, die sich am deutlichsten zum Kommunismus sowie zu marxistisch-leninistischen Traditionen bekennt. Sie verteidigt die historische Legitimität der DDR und setzt sich für eine Bewahrung der antikapitalistischen Grundhaltung der Partei Die Linke ein.“ Noch Fragen?

Maaßen hat sich kaum Freunde gemacht

Bei den Grünen sieht man sich derzeit nur in einer Frage der Sicherheitspolitik geeint: Maaßen muss weg. Die Chemnitz-Aussage war in ihren Augen das I-Tüpfelchen in einer langen Ära von Non-PC-Kommentaren des BfV-Chefs – intern als auch öffentlich.

Maaßen hat nie einen Hehl aus seiner Kritik an der Merkel'schen Flüchtlingspolitik gemacht, weil er mit den Folgen für die Sicherheit des Landes leben muss. Folglich rüttelt er immer wieder an dem heilen Bild der deutschen Willkommenskultur.

Parteiübergreifend von links, über grün, rot, gelb bis hin ins Kanzleramt hat er sich kaum Freunde geschaffen durch seine offene Kritik. Auch kommt seine mitunter etwas lehrmeisterhafte Art nicht bei jedem Politiker gut an.  

Im Berliner Politzirkus darf nicht jeder sagen, was er denkt

Dass er den ehemaligen SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann vor einem veritablen Skandal bewahrt hat, als er die Anwerbungsversuche eines sozialdemokratischen Abgeordneten durch chinesische Agenten verhinderte, kümmert heute keinen mehr.

Oppermann, Nahles, Stegner & Co. trommeln seit Tagen für den Rücktritt des unbequemen BfV-Präsidenten. Ein politischer Beamter wie Maaßen habe seinen Job zu tun und den Mund zu halten, so der Tenor. Vor allem zu solch brisanten Themen wie Chemnitz.

Eine interessante Lesart demokratischer Gepflogenheiten. Im Berliner Politzirkus darf noch lange nicht jeder sagen, was er denkt – und verfüge er über noch so gute Informationsquellen.

Chemnitz und die Medien

Vor allem darf ein Chef einer Sicherheitsbehörde scheinbar nicht die Deutungshoheit der Kanzlerin anzweifeln. Angela Merkel hatte wie ihr Regierungssprecher auch mit Blick auf die Krawalle in Chemnitz von einer Hetzjagd gesprochen. Selbst war die Kanzlerin zwar nicht dabei. Also hat sie vor allem die Berichterstattung über die Vorfälle zum Anlass genommen, Stellung zu beziehen.

Und dort kannte die Wortwahl keine Grenzen. Das Spektrum reichte bis hin zu Pogromen. So als erlebten wir erneut Zeiten wie die "Reichskristallnacht", in der die Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung 1938 jagten, verschleppten, Geschäfte und Synagogen anzündeten oder später vor allem in den besetzten Gebieten in Osteuropa furchtbare Massaker anrichteten.

Während die Sicherheitsbehörden, Sachsens Justiz, der Ministerpräsident sowie die lokalen Medien vor Ort auf die verbale Bremse traten, schien nach Ansicht der überregionalen Journaille der ostdeutsche Freistaat im rechtsradikalen Sumpf zu versinken. Der braune Mob reüssierte demnach allerorten. 

Bei der Hogesa-Randale in Köln blieb der Aufschrei aus

Wer sich an die Bilder der schweren Hogesa-Randale auf dem Breslauer Platz im Oktober 2014 in Köln erinnert, der fragt sich, wo blieb da der wochenlange, bundesweite Aufschrei? 5000 Hooligans und Rechtsradikale zertrümmerten seinerzeit bei einer Kundgebung gegen Salafisten einen Polizeitransporter, verletzten 49 Polizisten. Eine Beamtin kam nur knapp mit dem Leben davon. 79 Verurteilungen wegen diverser Delikte – bis zum Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Dutzende weitere Verfahren wurden eingestellt. Ist Köln nun Hochburg der Nazis? Gewiss nicht. Seit Jahrzehnten steht etwa die Gegen-Rechts-Initiative „Arsch Huh“ für Toleranz in der Domstadt.

Dafür muss nun Chemnitz als Buhstadt herhalten. Gewiss wiegt es schwer, wenn braune Angreifer ein jüdisches Restaurant mit Gegenständen bewerfen. Gefolgt von Schmähungen: "Judensau, verschwinde aus Deutschland!" Da bleibt nur die Scham vor solchen Idioten.

Maaßen hat eine unsichere Gemengelage beschrieben

Aber auch, wenn es einen sensiblen Punkt betrifft, so sollte man sich an die Fakten halten, und die geben laut der Generalsstaatsanwaltschaft Dresden bisher nicht her, dass es massenweise Übergriffe auf Ausländer gab. Das TV-Magazin Frontal 21 zitierte einen Polizeireport vom 28. August, in dem von einer 100-köpfigen Horde berichtet wird, die mit Steinen bewaffnet auf Ausländerjagd ging. Tatsächlich aber ist diese Gruppe nie gefunden worden. Gab es diese Truppe oder war es eine Falschmeldung durch Anrufer? Nichts Genaues weiß man. Genau diese unsichere Gemengelage hat Hans-Georg Maaßen in seinem Statement beschrieben. Sehr zum Verdruss der veröffentlichten Meinung, die schon um das Wohl der Republik fürchtete.

Verfolgt man viele Kolumnisten entsteht der Eindruck, als sei beinahe ganz Deutschland fremdenfeindlich, rassistisch gesinnt und stehe kurz vor einer neuerlichen NS-Diktatur. Fast täglich arbeiten sich Kollegen an den Rechtspopulisten der AfD ab, beinahe genauso oft wie an dem gespenstischen Auftreten des aktuellen US-Präsidenten Donald Trump.

Dabei erlebt Deutschland verzögert eine Entwicklung, die in vielen anderen EU-Ländern gang und gäbe ist. Nach dem die CDU immer weiter nach links rückte, füllt die AfD hierzulande das rechtskonservative Vakuum aus. Vor allem im Bereich innere Sicherheit und Flüchtlingspolitik.

Wird Maaßen Bauernopfer einer verkorksten Liaison?

Der Union unter Merkel gelingt es nur schwer, hier Boden gut zu machen. Zwar versucht die bayerische CSU durch markige Sprüche dagegen zu halten. Aber solange etwa Bundesinnenminister Horst Seehofer sich nicht gegen die Kanzlerin durchsetzen kann, solange bleiben die Wahlprognosen für die Landtagswahlen im Freistaat hinter den Erwartungen der CSU-Granden zurück.

Vielleicht hat Seehofer auch vor diesem Hintergrund das Interview seines Verfassungsschutzpräsidenten abgesegnet. Wieder mal ein Schlag gegen Angie, die Unbesiegbare. Wieder einmal sticheln gegen die missliebige GroKo unter Muttis Ägide. Auch wenn es am Ende den Kopf von Maaßen kosten sollte. So stellt er doch nur ein Bauernopfer im bizarren Machtkampf einer völlig verkorksten Liaison dreier auseinanderstrebenden Parteien dar.

Getrieben durch die Parteilinke beharrt der Koalitionspartner SPD auf Maaßens Ablösung, Seehofer hält ihm noch offiziell die Stange und Merkel schweigt bis zum nächsten Krisentreffen am Dienstag.

Insgeheim, so scheint es, setzen alle drei darauf, dass der umstrittene BfV-Chef eigenständig um seine Versetzung in den Ruhestand bitten wird. Folglich hätte jeder sein Gesicht gewahrt: Die SPD könnte sich Maaßens Abgang als Trophäe ans Revers heften. Seehofer könnte verkünden, er habe Wort gehalten und seinen treuen Paladin nicht fallen gelassen. Und Merkel hätte einen Kritiker weniger. Wie aber zu hören war, denkt der BfV-Präsident gar nicht daran, im Büßerhemd abzutreten.   

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