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Freizeit Chancenlos – Wie ich gegen Helene Fischer verlor. Eine Kapitulation.

Freizeit: Chancenlos – Wie ich gegen Helene Fischer verlor. Eine Kapitulation.

Eigentlich war das ein guter Moment. Ich lag mit diesem Mann, der neuerdings mein Freund war, in einem Hamburger Bett. Durch das gekippte Fenster hörten wir Schiffe tuten, Möwen kreischen, einen Sportwagen aufheulen. Hafencitysound. Beste Ausgangslage für die Nacht. Bis die Musik einsetzte. »Und morgen früh küss ich dich wach«, sang eine Frau unter unserer Bettdecke. Man verliert mit den Jahren ja an Hysterie. »Hörst du zum Einschlafen Radio?« Ich kannte das bislang nur mit Hörspielen: Männer, die »Die drei Fragezeichen« brauchen, um einzuschlafen. Oder »TKKG«. Meistens waren das Sportstudenten, die blieben irgendwie besonders gerne hängen auf solchen Ritualen. »Quatsch. Hab ich extra rausgesucht gerade. Helene Fischer. Hör doch mal!« Ich hörte:

»Was wäre ein Tag ohne Sehnsucht / Lass das Feuer nicht verglüh’n / Berühr mich und verführ mich / Nimm mich einfach, wie ich bin.«

Ganz abgesehen vom Sound natürlich auch inhaltlich eine Zumutung. Wer wollte den anderen schon so, wie er war? Vor allem wenn das so klang. Der Mann lachte, es war ein Scherz. Helene sang trotzdem weiter. Ab dieser Nacht hörte sie jahrelang nicht auf.

Die Rückschau macht sanftmütig, doch selbst in der damaligen Gegenwart hätte ich immer und jedem versichert: Das ist ein sehr guter Typ, dieser Mann, der mir nachts zum Spaß Helene Fischer vorspielte. Der sie hörte, wenn er mich mit dem Auto vom Bahnhof abholte. Dessen Freunde beschwichtigend lobten, ich sei doch auch ganz süß, obwohl ich mich bei Feierlichkeiten nicht kopfüber von der Wohnzimmerdecke abseilte, sondern ganz normal die Türe benutzte. Ich nahm den Konkurrenzkampf natürlich trotzdem auf, führte ihn aber im Stillen. Ich würde diese Frau einfach überdauern. Ich würde der Mensch sein, der da ist. Geerdet. Echt. Anfassbar. Das dachte ich so etwa acht Wochen. Mit dem »geerdet sein« ist es ein bisschen so wie mit dem »Nimm mich einfach, wie ich bin«.

Seither ist Helene Fischer für mich so etwas wie der Endgegner. Sie spielt diese Rolle enthusiastisch: Sieben Millionen verkaufte CDs, 1,4 Millionen Facebook-Fans, 2013 wurde keine Frau in Deutschland häufiger bei Google gesucht, nicht einmal Abrissbirnenzunge Miley Cyrus oder Angela Merkel. Ich halte dagegen: Acht verkaufte Kleider bei Ebay im letzten halben Jahr, 683 Facebook-Freunde und wahrscheinlich google ich mich selbst häufiger als jeder andere Mensch. Sie ist blonder als ich, kann besser singen als ich, sie führt seit Jahren eine immerhin nach außen beständige Beziehung und seit ihrem Ice-Bucket-Challenge-Video hasse ich meinen Bauch.

Natürlich ist diese Perfektion auch eine Bürde. Ich gestehe Helene Fischer absolut zu, dass sie rasend viel arbeitet für ihren Erfolg. So einen Bauch bekommt man nicht, weil man mal fünf Tage hintereinander beim Abendessen die Kohlenhydrate weglässt (ausprobiert). Nur ist die Penetranz, mit der dieses weichgezeichnete Supergirl mein Leben unterwandert, so angsteinflößend, so ärgerlich. Mich nervt, dass ich ihr nicht entkommen kann, wenn ich am deutschen Alltag teilhaben möchte. Das gelingt nur FAS-Journalistinnen, die dann Texte darüber schreiben, dass sie Helene Fischer lange mit der 61 Jahre alten, US-amerikanischen Sängerin und Schauspielerin Helen Schneider verwechselt haben. Und so sehr bin ich noch im Jetzt dabei, dass ich das eine ziemliche Blödelei finde.

Was es nicht besser macht. Es ist zum Hype geworden, Helene Fischer zu mögen, es ist unoriginell, sie nicht zu mögen, es ist unmöglich, keine Meinung zu ihr zu haben – weil sie ja überall ist. Sie moderiert Fernseh-Galas und Preisverleihungen in einem Affenzahn weg, der selbst Barbara Schöneberger einschüchtern dürfte, kuschelt mit Robbie Williams für die Kameras, erzählt meine Kindheitserinnerungen in der VW-Werbung, benutzt meine Haar-Coloration, meine Kräuterbutter, besetzt und besingt sogar eine Fußball-WM, die ich vorher nicht als »meine« deklariert hätte, aber ab jetzt geht es schlicht ums Reviermarkieren.

Und es ist richtig, es ist doch alles richtig, weil so viele Menschen sich darüber freuen, nur würde ich gerne aussteigen dürfen aus dieser Schulterpolster-Show, wenigstens kurz, um mal, ja echt: durchzuatmen. Bei Mario Barth brauchte man damals einfach nur RTL ein paar Samstagabende NICHT einschalten, NICHT ins Olympia-Stadion gehen und NICHT jeden Deppen in seine Facebook-Freundesliste aufnehmen. Schon war man diesen Schmarrn weitestgehend los. Elegant und würdevoll. Das Phänomen kennen, es anerkennen und dann möglichst unberührt davon weiterleben – cool. Lame dagegen, sich über anderen Geschmack aufzuregen. Aber was soll man tun, wenn der fremde Geschmack in den eigenen Mund kriecht, in das eigene Leben, unter die Bettdecke, plötzlich überall ist? Beim Drink mit dem guten Kumpel, Mentor sogar, der auf einmal einen Song für sie schreiben will. Nach der Konferenz, die der Kollege »Atemlos durch die Nacht« summend verlässt. Und eben damals, vor zwei Jahren, in diesem Hamburger Bett, in dem Frau Fischer mich ermahnte, ich solle sie lassen, wie sie ist.

Ich lasse dich ja, Helene. Wirklich, ich habe kapituliert. Du bist eine coole Braut, eine moderne Eisprinzessin ohne Kufen, die Perfektion im Volkswagen, Butterbrote kauend mit stahlhartem Bauch. Du hattest Robbie und Schweini. Du hast die Kollegen, meine Kumpels, den Mann. Lass Du mir nur eins: Einschlafen können ohne die Angst, von dir wachgeküsst zu werden.

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