Zu den festen Ritualen der alten Bundesrepublik gehörte es, ständig vor einem Rechtsruck zu warnen, der indes nie eintrat. Die Unheilpropheten fügten dann immer hinzu: Der Firnis der Zivilisation sei dünn, wenn der Wohlstand zurückgehe und die Zeiten härter würden, werde man schnell sehen, wie äußerlich die Bekenntnisse der Deutschen zu Demokratie und Toleranz in Wahrheit seien. Aber es war noch jedes Mal ein Fehlalarm.

Und was haben wir heute? Dem Land ging es noch nie so gut – und es war noch nie so zerrissen. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig, wie sie es seit 1992 nicht mehr war. Der Finanzminister kann sich vor Überschüssen kaum retten. Die Renten erreichen Rekordhöhen, und selbst die Binnennachfrage, deren Schwächeln bisher immer als Beweis angeführt wurde, dass vom Wohlstand, der vom Exportweltmeister oben erwirtschaftet werde, unten nichts ankomme, selbst diese Binnennachfrage brummt nicht nur zur Weihnachtszeit dank kräftig gestiegener Löhne. Dies müssten eigentlich die klassischen Rahmenbedingungen für ein mit sich selbst zufriedenes Land sein, das den Wahlkampfslogan der CDU aus den achtziger Jahren wieder hervorkramen könnte: "Weiter so, Deutschland!"