Dieser Text ist Teil unserer Reihe #D18. Alle Texte der Serie finden Sie hier.

Warum ist dieser Mann kein Held? © ZEIT ONLINE

Wir sitzen schon wieder im Auto und sind auf dem Rückweg. Sigmund Jähn hatte mich vom Bahnhof in Strausberg abgeholt, und nun will er mich, weil man das einfach so macht, wie er sagt, auch dorthin zurückbringen, damit ich mit der S-Bahn wieder nach Berlin fahren kann. Mehr als zwei Stunden haben wir in seinem Wohnzimmer gesessen und geredet.

Nein, dort haben keine Bilder von ihm als Kosmonaut an der Wand gehangen. Es war das ganz normale Wohnzimmer eines älteren Ehepaars, mit wuchtigen Sesseln und viel dunklem Holz. Ab und zu ist der 81-Jährige aufgestanden und hinüber in die Küche gegangen, um Kaffee zu machen. Ich habe am Türrahmen gelehnt und ihm zugesehen, wie er die Kaffeetasse mit dem Unterteller ein wenig umständlich vor die Maschine stellte, wie er seinen Finger in eine Dose mit Salz steckte, um zu probieren, ob es nicht doch Zucker sei. Wie er den Zucker in eine kleine Tasse schüttete und sich entschuldigte, dass er keinen Kuchen da habe.

Sigmund Jähn hat mir in der Küche auch von den grünen Klößen erzählt, die er sich zum Mittagessen aufgewärmt hat, und ich habe mich an die grünen Klöße erinnert, die meine Mutter immer zu Weihnachten macht. Die von meiner Mutter sind Thüringer, seine sind Vogtländer, da gibt es einen Unterschied, aber worin der genau besteht, wusste er in diesem Moment auch nicht zu sagen. Dann haben wir gelacht, und weil wir gerade beim Thema waren, habe ich ein extra breites Sächsisch geredet und ihm erzählt, dass ich als Kind oft im Ferienlager im Vogtland gewesen bin und wir immer in seinen Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz gewandert sind, um dort ins Sigmund-Jähn-Museum zu gehen. Daraufhin hat er angefangen, ein vogtländisches Wanderlied zu singen. Den Text habe ich nicht verstanden, weil diese Texte nicht wirklich zu verstehen sind, aber die Melodie hat mich an früher erinnert. An irgendein fernes, ziemlich verschwommenes Früher. Ein Früher, das man nicht richtig sehen, sondern nur fühlen kann. 

Sigmund Jähn, aufgenommen nach seinem Flug mit dem Raumschiff Sojus 31, August 1978 © DPA

Im Lachen ist Jähn leicht vor und zurück getänzelt und ich konnte sehen, wie agil und sportlich dieser Mann noch ist. Vor genau 40 Jahren, am 26. August 1978, ist er vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur in den Weltraum geflogen. Als erster und einziger DDR-Bürger, aber auch als erster Deutscher. Gemeinsam mit dem sowjetischen Kommandanten Waleri Bykowski hatte er in sieben Tagen, 20 Stunden, 49 Minuten und vier Sekunden 125-mal die Erde umkreist. Ländergrenzen sollen von dort oben gar nicht zu erkennen sein. 

Der ehemalige Kosmonaut läuft inzwischen leicht gebeugt, aber noch immer geht er morgens, wenn er kann, in den See, der an sein Grundstück grenzt, und schwimmt ein wenig. Früher hat er das auch im Winter gemacht. Ob ich den See sehen wolle, hat er mich nach dem Gespräch auf dem Weg zum Auto gefragt. Wollen Sie denn noch einmal zum See, habe ich ihm geantwortet. Nein, ich will nicht, aber wenn Sie wollen, gehen wir.

Ich will ihm aber nicht noch mehr Zeit stehlen. Sigmund Jähn hat so viele Briefe auf seinem Schreibtisch liegen, die noch immer unbeantwortet sind. Großeltern, die ein Autogramm für ihre Enkel wollen zum Beispiel, obwohl die Enkel sich doch gar nicht für ihn interessieren, wie er glaubt. Aber er will sie alle beantworten. Weil man das einfach so macht, wie er wieder sagt. Weil die Leute sich freuen, wenn sie mitunter auch nach zwei Jahren noch Post von ihm bekommen. Auf dem Weg zum Bahnhof reden wir dann noch einmal über jene Tagung in einem Schöneberger Gymnasium, auf der ich ihm ein paar Wochen zuvor zum ersten Mal begegnet bin.

Eine Tagung zu seinen Ehren, aus Anlass des bevorstehenden 40. Jahrestages seines Fluges. Jähn ist dorthin auch mit der S-Bahn gefahren. Aber Tagung ist eigentlich das falsche Wort. Eher war es ein Treffen einer Gruppe pensionierter oder, besser gesagt, vor vielen Jahren größtenteils ausrangierter DDR-Wissenschaftler. Die alten Männer hatten alle beigefarbene Anzüge und helle Schuhe an. Honecker-Look, wie mir einer selbstironisch gleich am Eingang zuraunte. Von einem wissenschaftlichen Interesse schien das Ganze nicht, es war eher eine Art Ehemaligentreffen. Auch die Direktorin der Sigmund-Jähn-Grundschule in Fürstenwalde/Spree war dort. Sie hatte extra einen Teddybären in einem Kosmonautenanzug mitgebracht, den sie Sigmund Jähn in die Hand drückte, weil sie die beiden zusammen fotografieren wollte. Danach hat sie ihn in ihre Schule eingeladen, unbedingt solle er einmal vorbeikommen. Das sagte sie mehrmals.

Ob er inzwischen einmal dort gewesen wäre, frage ich ihn. Die Einladung hätte so nett geklungen. Nein, sagt Sigmund Jähn. Er hätte einmal in seinem Leben erlebt, wie die Schilder mit seinem Namen über Nacht abgehängt wurden, nun müsse er sich am Ende seines Lebens nicht noch einmal anschauen, wie sie wieder aufgehängt würden. Danach schaut er vom Steuer zu mir herüber und seinen Gedanken hinterher. Es hört sich nicht an, als sage er solche Sätze oft.