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Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Du, was macht das mit dir?

Was haben Frauenzeitschriften wie "Brigitte" mit Bewegungen wie Occupy zu tun? Mehr als man meinen sollte. Statt um Argumente geht es bei dem Protest vor allem um Gefühlslagen.

Jetzt weiß die Polizei immerhin, worauf sie achten muss, damit es beim G7-Gipfel im Juni nicht wieder zu Krawallen kommt, wie sie vergangene Woche in Frankfurt zu besichtigen waren: Sie muss für die Demonstranten eine angemessene Unterkunft bereithalten! Die Stadt sei schuld, dass die Dinge entglitten seien, weil sie es versäumt habe, geeignete Übernachtungsmöglichkeiten bereitzustellen, erklärte ein Occupy-Sprecher nach der ersten Schadensbilanz. Ist ja klar: Wer die Nacht vor dem großen Auftritt kein vernünftiges Hotelzimmer vorfindet, ist am nächsten Tag schlecht drauf. Da brennen dann auch mal ein paar Streifenwagen. Irgendwo muss der Frust ja raus.

Es geht um Gefühlslagen, weniger um Argumente, wie man sieht. Wer nach den Gründen fragt, warum junge Menschen zum Feuerzeug greifen, wenn sie mit der politischen Situation unzufrieden sind, wird auf die "Wut" und "Verzweiflung" verwiesen, die sie umtreibe. "Wut" und "Verzweiflung" sind die Signetbegriffe des modernen Protests, ohne sie kommt keine Verteidigungsrede aus. Es gibt ja so viel, worüber man wütend sein kann: Wenn es nicht die fehlenden Hotelbetten sind, die einen zum Aufstand treiben, dann das einschüchternde Auftreten der Polizei oder ein generelles Unbehagen am Kapitalismus.

Es ist kein Zufall, dass die aktuelle Kapitalismuskritik vor allem emotionale Kategorien bemüht, um den Protest zu legitimieren. Wer nach anderen Begründungen sucht, ist schnell am Ende. An Stelle des "denkt nach" ist das "empört euch" getreten - aber vielleicht zielte die Revolte ja immer schon auf die Ebene der Frauenzeitschrift. Dort ist nicht so wichtig, wie sich die Dinge zueinander verhalten, sondern vielmehr, wie man zu ihnen steht - respektive, was sie in einem auslösen. Der Rest ist Gestammel. "Die Ideen, die wir haben, sind noch blass, das räume ich ein", erklärte einer der Blockupy-Anführer im "taz"-Interview , als er gebeten wurde, seine Idee eines anderen Europa vorzutragen.

Ein großer Vorzug der Linken war stets ihre Theoriestärke. Der Historiker Philipp Felsch hat in seinem Buch "Der lange Sommer der Theorie" gerade noch einmal die Zeit passieren lassen, in der die Lust an schwierigen Texten eine ganze Generation beflügelte. Vieles erscheint im Rückblick versponnen, manches nachgerade abstrus, aber ein Gutteil der Bücher, die damals in der Manteltasche steckten, erinnert daran, was für ein Abenteuer das Denken sein kann.

Das Problem mit Posern

Das einzige, was die Kapitalismuskritik heute zu bieten hat, sind Traktate über den Semio-Kapitalismus, der angeblich alles in Zeichen überführt, oder die Klage über den Neoliberalismus, der uns zu Sklaven der Selbstoptimierung macht. Notfalls muss wieder der alte Žižek ran, um mit seinem etwas ausgeleierten Spät-Hegelianismus aufzuspielen.

Die Adepten machen sich nicht einmal mehr die Mühe, die dünnen Plünnen über ihren Aktionsaufrufen aufzuhübschen. Dass die EZB mithilfe der Notenpresse genau die Schuldenpolitik durchsetzt, die von der Linken immer gefordert wird, um den Südländern beizustehen: Egal. Irgendwie stehen Draghi und seine Leute für das Kapital und damit das Böse. Außerdem wirkt der neue Bankenturm mit seinem Glaskeil so kalt und herzlos. Zu kalt zu wirken ist heutzutage ein weitaus größeres Verbrechen als zu reich zu sein.

An einem Mangel an Bildungsangeboten kann es nicht liegen, dass die Linke so wenig zu bieten hat. Es ist einfach Faulheit. Die revolutionäre Truppe, die marodierend durch die Straßen zieht, besteht mehrheitlich aus gelangweilten Bürgersöhnen. Ulf Poschardt hat in einem Kommentar  zu Recht darauf hingewiesen, dass die einzigen Arbeiterkinder unter den Polizisten anzutreffen sind, die dann mit Steinen beschmissen werden. Auf Twitter fand man nach den Frankfurter Protesten ein Bild von drei Demonstranten, bei dem jemand einfach die Preisschilder neben die Ausrüstungsgegenstände geschrieben hatte: Handschuhe Mammut, 50 Euro; Jacke, Columbia, 390 Euro; Hose, Levis, 90 Euro, Rucksack, Eastpak, 120 Euro. Auch die Revolte muss man sich leisten können.

Die Hoffnung der vereinigten Linken ruht jetzt auf dem griechischen Experiment. "Wir haben das große Glück, auf Regierungsebene einen Akteur zu haben", der für ein anderes Europa stehe, heißt es bei Occupy über die fabelhaften Syriza-Boys. Leider sind auch die griechischen Matadoren vor allem mit sich selber beschäftigt. Tsipras und Varoufakis haben mehr damit zu tun, sich in Szene zu setzen, als Geld in die Kasse zu bringen, damit ihnen ihr Laden nicht absäuft. Auf mehr als 40 Interviews hat es allein der griechische Finanzminister gebracht, Fotostrecken in französischen Illustrierten nicht mitgerechnet.

Das ist das Problem mit Posern: Der richtige Auftritt geht ihnen über alles, das Ergebnis ist zweitrangig.

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Foto: SPIEGEL ONLINE