Politik

"Zerklüftete Republik" 12,5 Millionen Deutsche sind arm

Ein Obdachloser in einem Berliner Hauseingang.

Ein Obdachloser in einem Berliner Hauseingang.

(Foto: dpa)

Der Paritätische Gesamtverband äußert sich besorgt. Es gebe einen "armutspolitischen Erdrutsch", noch nie sei die Kluft zwischen armen und reichen Ländern so groß gewesen. Dabei macht der Verband gleich mehrere Risikogruppen aus.

Die Armut in Deutschland steigt sprunghaft an und Rentner sind immer stärker davon betroffen. Das sind zentrale Ergebnisse des Armutsberichts des Paritätischen Gesamtverbands, der in Berlin vorgestellt wurde. "Noch nie war die Armut in Deutschland so hoch und noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie heute", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider.

Die Anzahl der von Armut betroffenen Menschen hierzulande stieg dem Bericht zufolge von 12,1 Millionen Menschen im Jahr 2012 auf 12,5 Millionen im Jahr 2013. Am stärkten betroffen sind dem neuen Armutsbericht des Paritätischen zufolge die Bundesländer Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, am wenigsten Baden-Württemberg und Bayern. Besorgt äußerte sich Schneider besonders darüber, dass "die Kluft zwischen reichen und armen Ländern in Deutschland immer größer wird". Er sprach von einer "zerklüfteten Republik".

Insgesamt verschlechterte sich die Lage in 13 der 16 Bundesländer, nur in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen blieb die Armutsquote stabil oder ging leicht zurück. Einen besonders starken Anstieg gab es dagegen neben den bereits genannten Schlusslichtern der Armutsstatistik auch in Hamburg und Teilen Nordrhein-Westfalens.

Alleinerziehende bleiben Risikogruppe

Unter den gesellschaftlichen Gruppen sieht der Paritätische das größte Risiko bei Alleinerziehenden, die dem Bericht zufolge zu 43 Prozent von Armut betroffen sind. Als weitere Risikogruppen nannte Schneider Erwerbslose und Menschen ohne beziehungsweise mit niedrigem Bildungsabschluss.

Besonders kritisch sieht der Paritätische auch die Entwicklung bei den Rentnern. Zwar lag hier die Armutsquote mit 15,2 Prozent 2013 noch im durchschnittlichen Bereich. "Diese Gruppe zeigt seit 2006 den rasantesten Anstieg an Armut", warnte aber Schneider. Er sprach von einem "armutspolitischen Erdrutsch", es sei daher zu hoffen, dass "die Politik endlich aufwacht".

Schneider beklagte auch eine "vollständige Entkopplung von wirtschaftlicher Entwicklung und Armutsentwicklung". Es gebe zunehmende Verteilungsprobleme bei insgesamt wachsendem gesellschaftlichen Wohlstand.

Als Gegenmittel verlangte der Paritätische eine Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes von 399 auf 485 Euro, Mindestsätze auch beim Arbeitslosengeld I sowie Beschäftigungsprogramme für Langzeitarbeitslose und "einen Masterplan für alleinerziehende Frauen".

Der Sozialverband VdK forderte mit Blick auf die zunehmende Armut von Rentnern, die fortdauernde Absenkung des Rentenniveaus unverzüglich zu stoppen. Auch müssten Abschläge für Erwerbsminderungsrentner abgeschafft werden, verlangte Verbandspräsidentin Ulrike Mascher in Berlin. Eine wirksame Strategie zur Armutsbekämpfung forderte der Verband Volkssolidarität.

"Erschreckende Zahlen"

Von "erschreckenden Zahlen" sprach der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn. Es sei ein "Skandal erster Güte", dass "die deutsche Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet".

Der Paritätische verwendet die übliche Definition des Statistischen Bundesamts und auch der EU, wonach jemand als arm gilt, dessen Einkommen weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens beträgt, wobei die Zahl der Haushaltsmitglieder berücksichtigt wird. Gemessen wird also genau genommen weniger der Zugang zu Gütern des Grundbedarfs als die Einkommensspreizung in der Gesellschaft. Der Paritätische Gesamtverband ist der Dachverband großer Wohlfahrts- und Sozialverbände in Deutschland.

Quelle: ntv.de, Basil Wegener, dpa

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