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Jan Fleischhauer

Künstler gegen rechts Bis der Bullenhelm vom Schädel fliegt

Wo gilt es als Bekenntnis gegen Hass und Gewalt, wenn man singt: "Ich fick sie grün und blau"? Na, auf Konzerten gegen rechts natürlich. Wenn man Glück hat, bekommt man sogar eine Einladung vom Bundespräsidenten.
Hip-Hop-Formation K.I.Z

Hip-Hop-Formation K.I.Z

Foto: Sebastian Kahnert/ dpa

Mich erreichte dieser Tag eine Mail aus Bayern. Der Absender stellte sich als Polizist in einer bayerischen Einsatzeinheit vor. Sein Name tut nichts zur Sache, deshalb lasse ich ihn weg.

"Meinen Beruf habe ich vor 20 Jahren ergriffen", schrieb der Beamte, "weil ich damals wie heute davon überzeugt bin, dass es wichtig ist, den Rechtsstaat vor dem Einfluss von Extremisten und Kriminellen zu schützen. Umso fassungsloser macht es mich, dass sich die höchsten Repräsentanten des Staates nicht zu schade sind, im hysterisch aufgeblasenen Kampf gegen 'rechts' auf die Unterstützung von Leuten zu zählen, die diesen Staat (und dessen Polizei) ausdrücklich und unmissverständlich hassen. Dass der Bundespräsident und der Außenminister es nötig haben, Lob und Anerkennung für eine Band zum Ausdruck bringen, die in ihren Texten Gewalt gegen 'Bullen' verherrlicht, empfinde ich persönlich als einen Schlag ins Gesicht."

Es gibt Menschen, für die es, wie man sieht, keine Nebensächlichkeit ist, wenn sich das Staatsoberhaupt mit Leuten gemein macht, die in ihren Liedern davon reden, wie schön es wäre, Bullenfressen zu polieren, bis der Helm vom Schädel fliegt. Ich empfehle allen, die das für eine Petitesse halten, einen einfachen Test. Wir setzen an die Stelle des Wortes "Bullen" einfach "Frauen" oder "Schwule" ein. Wer der Meinung ist, dass man sich nicht daran stören sollte, wenn eine Band ihre Fans ermuntert, Frauen mal ordentlich ranzunehmen oder Schwule richtig aufzumischen: Voilà, der hat wirklich ein Herz für die Kunstfreiheit.

Wobei: Wenn es gegen Eva Herman geht, ist sogar ein bisschen Frauenverachtung erlaubt. Dann darf man auch singen: "Und ich gebe ihr von hinten wie ein Staffelläufer. Ich fick sie grün und blau wie mein kunterbuntes Haus." Was für einen Unterschied doch so ein bisschen Antifa-Anstrich macht! Dann gelten selbst Leute, die man heute von jedem "Echo" aussperren würde, bis ins Schloss Bellevue hinein als Vorzeigekünstler.

Genauer hinzusehen

Damit man mich nicht missversteht: Ich bin sehr für Kunstfreiheit. Ich bin ja auch gegen die politische Indienstnahme von Kunst. Ich würde nur dafür plädieren, in Zukunft dann ebenfalls darauf zu verzichten, die Texte von Gruppen wie Frei.Wild nach verfänglichen Stellen abzuklopfen.

Solidarität ist eine trickreiche Sache. Wer möglichst viele Menschen auf die Straße bringen will, darf nicht zu wählerisch sein, dieser Logik folgt jede Demo. Andererseits sollte man sich schon ansehen, bei wem man sich einreiht, wie ich finde. Wer zum Beispiel mit Leuten demonstrieren geht, die den Hitlergruß zeigen, kann sich anschließend nicht darauf hinauszureden, er habe mit rechts nichts am Hut.

Ich glaube, dass es sich lohnen würde, etwas genauer hinzusehen. Das gilt auch für den Sprachgebrauch. Journalisten neigen zu Übertreibungen, das ist Teil des Gewerbes. Da ist jeder Rechte gleich ein Nazi, auch wenn er KdF für ein Nahrungsergänzungsmittel hält und BdM für ein Sportlabel. Von Mitgliedern der Bundesregierung hingegen sollte man etwas mehr Zurückhaltung erwarten dürfen.

Reflexhafter Zwang zur Abgrenzung

Man mag es für eine semantische Feinheit halten, ob es in Chemnitz nun zu "Menschenjagden" gekommen ist, wie Regierungssprecher Steffen Seibert meint, oder nur zur Bedrohung von Ausländern. Unter Hetzjagd versteht man gemeinhin eine Hatz über längere Zeit, nicht einen Sprint, um jemanden in die Flucht zu schlagen.

Jede Gewalt gegen Wehrlose ist ekelhaft, dennoch gibt es zwischen Jagd und Sprint einen Unterschied, so wie es einen Unterschied zwischen einem "Pogrom" und einem "Angriff" gibt. Ich halte die laxe Wortwahl für eine Schludrigkeit, die symptomatisch für den Umgang mit den Rechten ist. Wer es nicht genau nimmt bei der Beschreibung dessen, was war, der arbeitet sich irgendwann an Phantomen statt an realen Problemen ab.

Wenn es um den Kampf gegen rechts geht, schwankt man auf der Linken zwischen Untergangsangst und Selbstüberschätzung. "Wir sind mehr" hieß die Mutmacher-Veranstaltung in Chemnitz, so als hätte es je in Frage gestanden, dass Leute, die Ausländer hassen und Beatrix von Storch für eine geborene Führerin halten, in Deutschland nicht die Mehrheit stellen. Wenn die Akteure dennoch den Eindruck haben, sie seien in der Defensive, dann liegt das auch an ihrem reflexhaften Zwang zur Abgrenzung.

Das Schlimmste an der politischen Hysterie

Zum Auftakt des Chemnitzer Montagskonzerts traten zwei Aktivistinnen von "Chemnitz Nazifrei" auf, die aufzählten, wer alles auf der anderen Seite stehe: die Polizei natürlich, die "Bild", aber eben auch die CDU, die sich nicht genug "für Migranten, Geflüchtete und alternative, antifaschistische Inhalte" engagiere. Vermutlich war es der Aufregung des Augenblicks geschuldet, dass die Namen Boris Palmer, Horst Seehofer und Markus Söder fehlten. Auch so redet man einen Rechtsruck herbei: Indem man jeden Demokraten, der nicht bei drei einen Antifa-Mitgliedsausweis zücken kann, zum AfD-Sympathisanten erklärt.

Das Erste, was auf der Strecke bleibe, sei die Wahrheit, heißt es. Noch vor der Wahrheit stirbt der Humor. Wenn sich der "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt über die holpernden Reime des antifaschistischen Musikwiderstands lustig macht, dann ist die Reaktion nicht Amüsement über die Pointen des Textes, sondern Empörung über die Frivolität, dass jemand angesichts der drohenden Machtübernahme von rechts noch Witze reißt.

Das ist vielleicht das Schlimmste an der politischen Hysterie: der heilige Ernst, mit dem nun die Demokratie gerettet wird. Wie heißt es bei Woody Allen über die Beseelten von rechts und links: An ihrer Humorlosigkeit sollt ihr sie erkennen!