Chaim Noll / 10.08.2015 / 12:00 / 2 / Seite ausdrucken

Iran Abkommen: Der programmierte Dauerkrieg

Von Chaim Noll

Warum das Iran-Abkommen einen palästinensischen Staat verhindern wird

Das Mitte Juli erzielte Abkommen zwischen dem Iran und den sogenannten „Fünf-Plus-Eins-Staaten“ wird weltweit kontrovers aufgenommen. Von den Anhängern des „Deals“ wird die „friedliche, diplomatische Lösung“ des seit Jahren schwelenden Konflikts um das iranische Atom-Programm als größter Erfolg der Außenpolitik des scheidenden amerikanischen Präsidenten Obama gefeiert. Die Gegner der Übereinkunft sehen darin ein zweites Münchner Abkommen und vergleichen Obamas euphorische Reden mit der euphorischen „Peace-for-our-time“-Parole des heute verachteten britischen Premiers Neville Chamberlain vom September 1938, die sich als fatale Illusion erwies. Das Iran-Abkommen spaltet nicht nur die politische Führungsschicht der Vereinigten Staaten, sondern auch zwei im Mittleren Osten traditionell alliierte Mächte, Israel und Nordamerika. Schon von daher hat es tiefgreifende Auswirkungen auf die Zukunft der Region.

Präsident Obamas Nahost-Politik steht nicht zum ersten Mal in der Kritik. Sie wird von vielen Experten als schwach und inkonsistent eingeschätzt. Bereits Obamas berühmte Kairoer Rede vom 4. Juni 2009 „an die Muslime“ gilt – trotz großer rhetorischer Wirkung – weitgehend als verfehlt. Obama vertrat darin die unhaltbare These, Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern bildeten den wesentlichen Konfliktherd der Region. Schon wenige Monate später sollte das offene Ausbrechen längst bestehender inner-islamischer Machtkämpfe, Revolten und Bürgerkriege diese naive Einschätzung ad absurdum führen. Die Region ist seither ein gigantischer, etliche Staaten einbeziehender Kriegsschauplatz im Konflikt zwischen dem shiitischen Iran und dem sunnitischen Staatenblock um Saudi Arabien und die reichen Golf-Emirate, mit Stellvertreter-Kriegen im Irak, Jemen, Libanon, in Syrien, Ägypten und anderswo, in dem der „Palästinenser-Konflikt“ nur eine marginale Rolle spielt. Und in anderem Sinne als Obama meinte: indem nämlich die Gewalt der Palästinenser zunehmend auf inner-arabische Kämpfe fokussiert, da auch hier die islamischen Führungsmächte Iran und Saudi-Arabien ihre Stellvertreter in den verfeindeten Fraktionen Hamas und Fatah unterhalten und die Bevölkerung der „Palästinenser-Gebiete“ bis auf weiteres in Krieg führende Parteien gespalten haben.

Von Unkenntnis zeugte auch Obamas falsche These - gleichfalls in der Kairoer Rede vorgetragen -, der Staat Israel definiere sich im Wesentlichen aus dem Holocaust. Dieser Missgriff, der die Vor-Anwesenheit der Juden in der Region und die Jahrtausende alte Geschichte der jüdischen Zions-Bewegung ignoriert, löste in Israel verständlicherweise Befremden aus. Im folgenden Absatz der Rede wurden die „Leiden der Palästinenser“ durch das Wort „auch“ in unmittelbarem Anschluss an die Nennung der Schoah als vergleichbares Ereignis hingestellt, eine weiterer Lapsus, durch den sich Judenfeinde und Holocaust-Relativierer, etwa die Führung im Iran, ermutigt fühlen konnten. Es folgte der Satz: „Die Lage der Palästinenser ist unzumutbar“, mit Schuldzuweisung an Israel. Die Lage der anderen arabischen Bevölkerungen in der Region wurde mit keinem Wort erwähnt. Schon wenige Monate später sollte sich erweisen, dass die Situation dieser Bevölkerungen - etwa in Ägypten, Syrien, Tunesien, Libyen, Jemen - weitaus unzumutbarer gewesen sein muss als die der Palästinenser, denn in all diesen Ländern brachen verzweifelte, blutige Volksaufstände aus, nur im Westjordanland nicht, wo doch angeblich, nach den Stereotypen in Obamas Rede, die Erbitterung am größten war. Selten ist eine amerikanische Präsidenten-Rede durch die folgenden Entwicklungen so schnell und so gründlich als rhetorischer Humbug entlarvt worden wie diese.

Auf die „Rede an die Muslime“ folgte in den weiteren Jahren von Obamas Amtszeit eine fundamental verfehlte Nahost-Politik, basierend auf verjährten Ideologemen statt auf intelligentem Verständnis der Realität. „Dies ist ein Präsident, der behauptet hat, der ‘Arabische Frühling’ würde zur Demokratie führen“, erinnerte kürzlich der israelische Diplomat Yoram Ettinger an Obamas Fehleinschätzungen. „Ein Präsident, der in seiner berühmten Kairoer Rede erklärte, der ‘Islam sei stets ein Teil von Amerika gewesen’, obwohl jeder Grundschüler weiß, dass es nicht zutrifft (…) Wir können uns nicht leisten, uns in seine Fantasien hineinziehen zu lassen. Wir müssen mit unserer Wirklichkeit leben, die das Gegenteil von Obamas Weltanschauung ist. Eins kann man wirklich über ihn sagen: Er lässt sich niemals von Realitäten sein Weltbild stören. Die Geschichte wird ihn einst nach seinen massiven Fehlern beurteilen.“
Obamas Verständnis für die ägyptischen Muslimbrüder, eine radikal-islamische Bewegung, die offen für die Zerstörung des westlichen Gesellschaftsmodells eintritt, verdarb folgerichtig die Beziehungen zur jetzigen ägyptischen Regierung. Mit dem Ergebnis, dass Russland, schon fast aus der Region verdrängt, um seine letzte Basis in der syrischen Hafenstadt Tartus bangend, die von Obama erzeugte Leere nutzen konnte und in Ägypten wieder willkommen ist: im Februar 2015 besuchte Präsident Putin die neuen Machthaber in Kairo, Anfang Juni hielten beide Staaten gemeinsame Flottenmanöver ab. Russische Raketenkreuzer im Mittelmeer – auch das ein Resultat von Obamas Nahostpolitik.

Ein weiterer Tiefpunkt war, nach Einschätzung vieler Experten, das Nicht-Handeln im syrischen Bürgerkrieg, obwohl auch hier rhetorische Auftritte viel versprochen hatten. Doch im entscheidenden Augenblick wurde versäumt, die gemäßigte Opposition der ersten Monate zu unterstützen, so dass radikale Kräfte wie der „Islamische Staat“ im Krieg gegen das Assad-Regime die Oberhand gewannen. Dazu kürzlich Uzi Rabi, Dekan des Department for Middle East-Studies an der Universität Tel Aviv: „Die Beschränktheit der Obama-Administration auf Versöhnungs-Diplomatie sandte eine deutliche Botschaft von Schwäche in die Region und ermutigte radikale Kräfte und nach Hegemonie strebende Staaten. Die amerikanische Entscheidung, im September 2013 nicht militärisch gegen das Assad-Regime in Syrien vorzugehen, obwohl es offenkundig chemische Waffen eingesetzt hatte, war eine Stunde der Wahrheit. Der Kodex ungeschriebener Gesetze war verletzt worden, Amerikas Stand in der Region von nun an untergraben. Zur gleichen Zeit konnte Russland seine Stellung im Mittleren Osten festigen.“

Die amerikanische Präsenz im Nahen Osten, der dieser Tage am heftigsten umkämpften Region der Welt, ist so schwach wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Beziehungen zu gestandenen Alliierten wurden - nicht nur im Fall Ägypten - vernachlässigt oder durch unkluge Bewegungen beschädigt, pro-westliche Kräfte in den regionalen Machtkämpfen nur halbherzig unterstützt oder ganz im Stich gelassen, pompöse Rhetorik trat an die Stelle entschlossenen Handelns. Nun der bisherige Höhepunkt dieser Nahost-Politik: das Abkommen mit dem iranischen Regime. Die schwachen Punkte der Vereinbarung wurden inzwischen von den Kritikern herausgestellt: Die Kontrollierbarkeit der iranischen Atom-Anlagen durch ausländische Inspektoren ist mehr als zweifelhaft, Anreicherung und Beschaffung nuklearen Materials werden nur eingeschränkt, nicht unterbunden, dafür einem Staat, der sich in den letzten Jahren anti-westlich profiliert hat wie kein zweiter,  Hunderte Milliarden Dollars, westliche Investitionen und Technologie-Hilfen offeriert, die ihn zum reichsten und mächtigsten Land der Region machen könnten.

Der Iran ist einer der verlockendsten Märkte der Erde. Fünfundsiebzig Millionen Menschen leben in unterentwickelter Infrastruktur und - angesichts des Reichtums an Rohstoffen - unnötiger Armut unter dem Regiment einer theokratischen Hierarchie, die für ihre Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit bekannt ist. Vor allem ist das Land im Besitz enormer Öl- und Gasfelder, die auszubeuten das technologisch zurückgebliebene, radikal-religiöse Regime bisher nicht imstande war – was ausländische, vor allem europäische Firmen gern übernehmen würden. Das Abkommen scheint nicht zuletzt auf Druck europäischer Staaten zustande gekommen zu sein, besonders der drei, die mit am Verhandlungstisch saßen: Deutschland, Großbritannien, Frankreich. Sie gehören auch zu den größten Rüstungsproduzenten der Welt: in der Rangliste auf den Plätzen vier, fünf und sechs, gleich hinter den USA, Russland und China. Die übrigens die anderen Verhandlungspartner der „Fünf-plus-Eins“-Runde waren. Man könnte den Vorgang auf die einfache Formel bringen: die sechs größten Waffenexporteure der Welt haben mit einem der militantesten Staaten und – was Waffen betrifft – gierigsten Märkte der Erde einen Pakt zum gegenseitigen Vorteil geschlossen.

Zugleich geschah die Einigung auf Kosten vieler anderer Staaten und Völker, für die ein technologisch hochgerüsteter, mit großen Geldmitteln ausgestatteter Iran eine immense Gefahr darstellt. Zunächst bedroht sind die sunnitischen Nachbarländer und Anrainerstaaten am Persischen Golf, die nicht nur das Nuklearprogramm ihres shiitischen Gegners zu fürchten haben, sondern auch von ihm unterstützte Armeen, Milizen und terroristische Gruppen in den Bürgerkriegen Syriens, des Irak, Libanon oder Jemen, in Bahrein oder den Palästineser-Gebieten. Überall dort unterhielt das shiitische Regime schon zuvor, in Zeiten vergleichsweiser Armut, militärisch organisierte, gut bewaffnete Kräfte – sie werden von nun an, mit unvergleichlich größeren Geldmengen und effektiveren Waffensystemen versehen, die Kriege in diesen Ländern noch heftiger aufflammen lassen. Die sunnitischen Golf-Emirate und Saudi-Arabien verfügen ihrerseits über enorme Finanzkräfte, womit dem Wettrüsten in der Region sobald keine Grenzen gesetzt sind. Angesichts des Umstands, dass die westlichen Partner im Iran-Abkommen zugleich die sechs größten Waffenexporteure der Erde sind, muss man davon ausgehen, dass Wettrüsten und lokale Kriege im Mittleren Osten die nähere Zukunft bestimmen werden, was offenbar bei diesem Abkommen stillschweigend in Kauf genommen wurde.

Bedroht ist auch Israel, trotz einiger Entfernung von den iranischen Grenzen. Das neue Abkommen lässt dem iranischen Regime nicht nur genügend Schlupflöcher für geheimes Weiterbetreiben seines Atom-Programms, es gibt ihm auch die Möglichkeit, moderne Langstrecken-Raketen einzukaufen, die nicht nur Israel, auch Europa und Nordamerika erreichen können. In Israel ist das Unverständnis gegenüber dem Abkommen allgemein verbreitet, übereinstimmend durch fast alle politischen Partien (was hierzulande wahrlich selten geschieht), sein Abschluss macht die Abwendung von der Obama-Administration perfekt, führt das im Verlauf der Jahrzehnte übertrieben eng gewordene Verhältnis zu den Vereinigten Staaten auf ein bekömmliches Maß zurück und bestärkt Israels Hinwendung zu neuen Verbündeten in Asien, Afrika und Südamerika, vor allem zu den neuen großen Handelspartnern Indien und China.

Ein Nebeneffekt des Abkommens ist die politische Annäherung Saudi-Arabiens und der sunnitischen Golf-Staaten an Israel. Im April kam es zu überraschenden Umbesetzungen in der politischen und militärischen Führung Saudi-Arabiens, jüngere Prinzen übernahmen Schlüsselstellungen, offensichtlich als Reaktion auf die zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit iranischen Stellvertreter-Milizen wie derzeit im Jemen. Überraschend war auch eine gemeinsame Erklärung des israelischen Botschafters Dore Gold und des saudischen Generals Anwar Eshki auf einem Treffen der Organisation „Council on Foreign Relations“ Anfang Juni, Israel und Saudi-Arabien unterhielten „geheime diplomatische Beziehungen“. Die Annäherung vollzieht sich verstohlen und inoffiziell, da radikale Islam-Auslegungen wie die wahabitische Staatsreligion in Saudi-Arabien eigentlich religiösen Anti-Judaismus gebieten. Deshalb versuchen jüngere Mitglieder des saudischen Königshauses neuerdings, den islamischen Judenhass zu dämpfen. „Alle meine muslimischen Brüder und Schwestern müssen verstehen“, erklärte Anfang Juli der saudisch Prinz und Wirtschaftsmagnat Al-Walid ibn Talal, „dass es ein moralisches Gebot für alle Bewohner des von Kriegen heimgesuchten Mittleren Osten geworden ist, ihrem absurden Hass gegen das jüdische Volk zu widerstehen. Mein Herrscher König Salman hat mich beauftragt, einen direkten Dialog mit Israels intellektueller Führung zu beginnen, um einvernehmliche Beziehungen mit unserem Nachbarn Israel herzustellen.“ Prinz Talal, seit längerem für sein Interesse an wirtschaftlicher und technologischer Zusammenarbeit mit Israel bekannt, fügte hinzu, er werde „nicht müde, Israel als die einzige Demokratie in einem der am meisten von Tyrannei bestimmten Teil der Welt zu preisen.“

Wahrscheinlich wird das Abkommen für Israel sowohl negative wie positive Auswirkungen haben. Zwar erhöht sich durch die zu erwartende üppige Finanzierung und Bewaffnung der Iran-gesteuerten Terror-Milizen Hamas und Hisbollah der Druck auf Israels Grenzen im Norden und Süden. Auch die Gefahr, dass der Iran seine Befreiung von den Sanktionen dazu nutzen wird, insgeheim radioaktives Material zu beschaffen und anzureichern, Langstrecken-Raketen zu kaufen und damit zur Nuklear-Macht heranzuwachsen, steigt trotz gegenteiliger Beteuerungen der Außenminister der sechs beteiligten Staaten. (Der Iran will seine Ambitionen im Nahen Osten, einschließlich Leugnung des Existenzrechts Israels, nicht zurücknehmen oder korrigieren, erklärte der „geistliche Führer“ des Landes, Ayatollah Ali Khamenei, schon wenige Tage nach Unterzeichnung des Abkommens.) Dennoch hat das Abkommen wahrscheinlich auch positive Wirkungen für Israel: Intensivierung der Beziehungen zu den neuen asiatischen Großmächten Indien und China, Entspannung im Verhältnis zu den reichen sunnitischen Staaten der Region, die auf Grund ihrer Finanzkraft und ihres erwachenden Interesses an Hightech-Produkten wichtige Märkte für Israel werden können.

Weitaus schlechter sind die Auswirkungen des Abkommens für die Palästinenser. Die „Palästinensische Autorität“ um den greisen „Präsidenten“ Mahmud Abbas ist die eigentliche Verliererin dieser Entwicklung. Ohnehin hat die Gründung eines „Palästinenserstaates“ in den letzten Jahren zunehmend an Wahrscheinlichkeit eingebüßt. Die Idee eines eigenen Staates für die auf dem früheren britischen Mandatsgebiet lebenden Araber – in heutiger Sprachregelung meist Palästinenser genannt – stützt sich auf die UN-Resolution 181 vom November 1947, bekannt unter der Bezeichnung „UN-Teilungsplan“. Andere völkerrechtliche Ansprüche auf einen solchen Staat gibt es nicht, die Staatsgründung wäre also von Erfüllung der in diesem Plan verbundenen Bedingungen abhängig: Anerkennung des jüdischen Staates, stabiler und sicherer Grenzen sowie des Lebensrechts einer jüdischen Minderheit auf dem Gebiet des zu gründenden arabischen Staates (wie es umgekehrt längst geschehen ist), wozu die arabische Seite von Anfang an nicht bereit war und bis heute nicht ist.

Zu diesem ersten Grund kommen weitere, die eine Staatsgründung zunehmend unwahrscheinlich machen. Etwa der empirische: der Abzug der israelischen Truppen aus Gaza im Jahre 2005 führte dort keineswegs zu der erhofften friedlichen Entwicklung, sondern zum blutigen Regime der Hamas, zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen verschiedenen Terrorgruppen, zu sinnlosen Raketen-Attacken gegen Israel, schließlich zu offenem Krieg mit den Nachbarstaaten Israel und Ägypten, infolgedessen zur weitgehenden Zerstörung der mit internationalen Hilfsgeldern aufgebauten Strukturen. Neuesten Umfragen zufolge möchte etwa die Hälfte der Bevölkerung den Gaza-Streifen verlassen – eine Vorstellung, die nicht nur der Hamas unangenehm ist, sondern auch europäischen Staaten, die bereits genug Probleme mit Flüchtlingen aus dem Mittleren Osten haben. Nach dieser Erfahrung ist die Begeisterung für ein ähnliches Experiment im Westjordanland deutlich abgekühlt. 

Auch konzeptionell ist die Idee eines „Palästinenserstaates“ fragwürdig geworden, seit sich im Zuge der als „Arabischer Frühling“ bekannten Umbrüche die Aversion regionaler Völker und Stämme gegen das Muster des bürgerlichen „Nationalstaats“ erwiesen hat, der in der muslimischen Denktradition nirgendwo verwurzelt ist. Staaten wie Irak, Syrien, Libanon sind Bruchstücke des Osmanischen Imperiums, von den Mandatsmächten Großbritannien und Frankreich nach dem Vorbild europäischer Staaten konzipiert. Von den multi-ethnischen Bevölkerungen, die sie zwangsweise zusammenfassten, wurden sie niemals wirklich akzeptiert und im Verlauf der letzten Jahre in blutigen Bürgerkriegen absichtsvoll zerstört. Ähnliches ist bei den Palästinensern längst geschehen – noch ehe der ihnen dedizierte „Nationalstaat“ überhaupt entstehen konnte. 

Diesen Vorgang kann der Westen nicht einfach ignorieren und in gewohnter Weise fortfahren, bei Bedarf Staaten im Mittleren Osten auszurufen, die keine innere, gewachsene Konsistenz besitzen und - falls überhaupt - nur durch brutale Regimes eine Weile am Leben gehalten werden, um dann schließlich in Stammeskriegen und ethnisch-religiösen Konflikten in die Brüche zu gehen. Welchen Sinn sollte es haben, einen weiteren Staat zu schaffen, der voraussichtlich nichts anderes sein wird als ein Schauplatz inner-islamischer Kriege? Die „Zwei-Staaten-Lösung“ ist nur noch ein Phantom. Der von der Hamas regierte Gaza-Streifen und die halbwegs von der „Palästinensischen Autorität“, der Fatah, kontrollierte Westbank sind seit mindestens zehn Jahren getrennte Entitäten, die nichts mehr verbindet als westliche Wunschträume und Finanzhilfen. Heute wäre bestenfalls noch eine „Drei-Staaten-Lösung“ denkbar, die Israel zwischen zwei explosiven Waffenlagern und miteinander verfeindeten Aufmarschgebieten der jeweiligen islamischen Führungsmacht zurücklässt, die keinen gemeinsamen Staat bilden, sondern Antipoden in einem Dauerkonflikt. Das Beharren auf einer solchen Lösung hat jede Ratio eingebüßt.

Was aber dem Konzept „Palästinenserstaat“ wahrscheinlich den letalen Stoß versetzt, ist das vor wenigen Tagen geschlossene Abkommen der „Fünf-plus-Eins“-Mächte mit dem iranischen Regime. Der shiitische Iran wird dadurch in den Besitz großer Geldmengen gesetzt, um die ihm hörigen Fraktionen in den Bürgerkriegen der Region zu unterhalten und mit immer moderneren Waffen auszustatten. Und die schon vordem finanzstarken sunnitischen Staaten werden das ihre tun, um ihre Vasallen im gleichen Maß aufzurüsten und zum Kämpfen zu motivieren. So auch in den „Palästinensergebieten“. Hamas und Fatah, jeweils im Sold einer der islamischen Führungsmächte, werden sich nicht einigen, nicht einigen dürfen. Denn ihr jeweiliger Hegemon unterhält sie dazu, die andere Seite zu bekämpfen. Wenn fortan eine der beteiligten „Fünf-plus-Eins“-Mächte die Forderung nach einem „Palästinenserstaat“ erhebt, ist es reine Heuchelei. Diese sechs Mächte haben alles nur Mögliche getan, um dem palästinensischen Bürgerkrieg, der die „Gebiete“ spaltet und an jeder autonomen Entwicklung hindert, Kraft und Dauer zu verleihen.

Siehe auch hier in der Jüdischen Rundschau

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Leserpost

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Matthias Strickling / 11.08.2015

Sehr guter Artikel. Ich mit meinen Laienhaften Kenntnissen kann das nachvollziehen. Ich frage mich, warum die doch eigentliche machtvolle jüdische Elite in den USA nicht mehr gegen das Abkommen ausrichten konnte. Ich frage mich auch, wer die USA weiterregieren wird. Einen wirklich fähigen Kandidaten sehe ich auf der Wahlbühne in Amerika noch nicht.

Helmut Driesel / 11.08.2015

Sehr geehrter Herr Noll, haben Sie noch nie daran gedacht, welche Entscheidungs- und Rechtfertigungsräume sich im Falle eines versuchten Einsatzes nuklearer Waffen seitens des Irans für Israel und den Westen auftun würden? Mit etwas Gänsehaut freilich. Ihre oben skizzierten Probleme wären doch längst gelöst, wäre die Bombe vor 7-10 Jahren einsatzfähig geworden. Es sind die unablässigen Friedensmissionare, die Konflikte in die Zukunft verschieben und letztlich dafür sorgen, dass die Zukunft düster wird. Denken Sie mal gelassen darüber nach.

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