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Juristin erklärt: Was tun, wenn ich eine Filesharing-Abmahnung bekomme?

Tausende Menschen haben schon Post von Kanzleien bekommen, weil sie angeblich illegal Filme im Internet verbreitet haben. Im Gespräch mit Motherboard erklärt eine Anwältin, was Betroffene als Erstes tun sollten – und wie sie sich wehren können.
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Bild: imago | Belga

Wenn ihr einen Film, ein Bild oder einen Song im Internet verbreitet, könntet ihr Post von einer Kanzlei bekommen: Abmahnung wegen Filesharing. Manchmal fordern die Anwältinnen mehrere Tausend Euro Schadensersatz. Einige Kanzleien in Deutschland haben sich sogar darauf spezialisiert, massenhaft Filesharing-Abmahnungen zu verschicken.

Es ist nämlich rechtswidrig, fremde, vom Urheberrecht geschützte Werke etwa bei einem Filehoster hochzuladen. Was tun, wenn ihr zu Recht oder zu Unrecht so eine Abmahnung bekommt? Wir haben mit der Anwältin Beata Hubrig gesprochen, die sich auf Urheberrecht spezialisiert hat. Sie erklärt, wie ihr mit Abmahnungen umgeht, und ob ihr auch dafür verantwortlich seid, was andere in eurem WLAN machen.

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Motherboard: Was soll ich tun, wenn ich eine Abmahnung wegen Filesharing im Briefkasten habe?
Beata Hubrig: Als Erstes durchlesen und ernst nehmen. In dem Brief der abmahnenden Kanzlei steht der Film, der Song oder ein anderes Werk, das du angeblich rechtswidrig geteilt hast sowie das Datum und die Uhrzeit, zu der das passiert sein soll. Im nächsten Schritt solltest du versuchen, dich daran zu erinnern, was zu dem Zeitpunkt passiert ist: Warst du überhaupt zu Hause? Hattest du Besuch?

Du solltest auch prüfen, wie dein Router eingestellt ist und ob dein WLAN passwortgeschützt ist, damit Unbekannte es nicht nutzen können. Wenn ja: Lässt du Freunde trotzdem bei dir zu Hause ins Internet oder teilst du dir den Anschluss mit deinen Mitbewohnern?

Oft fordern Kanzleien, dass du innerhalb von zwei Wochen antwortest. Aber du kannst eine Fristverlängerung von mindestens einem Monat beantragen. Das wird auf jeden Fall gewährt. Lass dich nicht von den kurzen Fristen in die Enge treiben und handle nicht überstürzt.

Sollte ich mir nicht erstmal selbst einen Anwalt holen?
Das ist bei Anwälten umstritten. Ich finde, dass man nicht sofort einen Anwalt einschalten muss. Du solltest versuchen zu verstehen, was dir vorgeworfen wird. Wenn der Vorwurf stimmt, brauchst du keinen Anwalt, sondern zahlst. Wenn der Vorwurf nicht stimmt, kannst du erstmal selbst reagieren und in einem Antwortschreiben die Situation schildern. Der Abmahnbeantworter ist ein Online-Werkzeug, das dir Anregungen geben kann, wie du so ein Schreiben formulierst. Ein Anwalt ist angesagt, falls das nicht klappt und du gemahnt oder sogar verklagt wirst, weil du die Forderungen nicht gezahlt hast.

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Abmahnungen sind außerdem ein Massengeschäft. Die abmahnenden Kanzleien arbeiten im Auftrag von deutschen Firmen, die zum Beispiel die Rechte für Filme aus den USA verwalten. Sie sollen Leute abmahnen, die solche Werke im Internet verbreiten.

Bei einer Abmahnung verlangt die Kanzlei von mir neben Geld auch eine Unterschrift, und zwar auf einer Unterlassungserklärung. Was ist das eigentlich?
Damit gibst du zu, dass du etwas falsch gemacht hast und das in Zukunft nicht mehr tun wirst. Die Unterlassungserklärung ist strafbewehrt. Das heißt, wenn du das trotzdem machst, musst du eine Strafe zahlen. Wie hoch die Strafe sein muss, ist nicht einheitlich gesetzlich geregelt. Laut Zivilprozessordnung können das bis zu 250.000 Euro sein, das ist schon abschreckend. Aber in den Unterlassungserklärungen der abmahnenden Kanzleien steht meist ein Betrag von etwa 5.000 Euro.

Sollte ich eine Unterlassungserklärung einfach so unterschreiben?
Ich finde, wenn du die Urheberrechtsverletzung begangen hast, musst du dafür einstehen und die Unterlassungserklärung unterschreiben. Aber wenn du dich nicht rechtswidrig verhalten hast, solltest du das nicht tun. Wenn du zum Beispiel deine Wohnung untervermietet hast und zu dem genannten Zeitpunkt unterwegs warst, kannst du das der Gegenseite mitteilen. Dann ist klar, dass du die Urheberrechtsverletzung nicht selbst begangen hast.

Muss ich den abmahnenden Anwälten verraten, wer noch alles meinen Internetanschluss genutzt hat?
Nein. Du kannst ja nicht sicher sein, dass es wirklich dein Untermieter oder dein Mitbewohner war und würdest ihn vielleicht zu Unrecht anschwärzen. Du kannst das zum Beispiel so formulieren: "Zum angegebenen Zeitpunkt waren zwei Freunde meines Mitbewohners da. Diese nutzen den Internetanschluss in eigener Verantwortung, auch an diesem Abend." Aber ich würde niemals Namen nennen.

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Kaum einer nutzt sein WLAN immer allein. Könnte man da nicht immer sagen: "Das war ich nicht"?
Theoretisch schon. Seit dem Herbst 2017 ist gesetzlich geregelt, dass ein Anschlussinhaber nicht für die Leute haften muss, die seinen Internetanschluss nutzen. Aber es gibt immer noch Richterinnen und Richter, die das anders sehen. Sie werfen den Anschlussinhabern vor, sie würden sich nicht genug bemühen, den Urheberrechtsverletzer zu finden.


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Die Kanzlei Waldorf-Frommer zum Beispiel ist eine der aktivsten abmahnenden Kanzleien und schickt bei Klagen eine lange Liste an Fragen mit. Der Anschlussinhaber soll demnach nachforschen, wer welche Programme auf dem Rechner hatte und wer was im Internet gemacht hat.

Muss ich diese Nachforschungen dann machen und in den Smartphones und Laptops meiner Mitbewohner rumschnüffeln?
Eben nicht, du darfst das nicht mal. Es gibt zwei Grundrechte, die das Bundesverfassungsgericht ins Leben gerufen hat: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Grundrecht auf die Vertraulichkeit und Integrität von Informationssystemen. Unsere technischen Geräte enthalten jede Menge private Informationen: unsere Vorlieben, Streitereien, wofür wir Geld ausgeben.

Es ist demnach nicht erlaubt, einfach so Geräte anderer Leute auszuforschen. Es sei denn, der Betroffene willigt ein. Du müsstest also erstmal deine Mitbewohner aufklären, dass du auf ihre Rechner zugreifen willst und vielleicht auch vorher deinen Router so einstellen, dass du immer nachverfolgen kannst, welche Seiten sie besucht haben.

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Du solltest dich von so einem Fragebogen aber nicht abschrecken lassen, sondern kannst beispielsweise darlegen: "Da meine Mitbewohner mir gegenüber deutlich äußerten, dass sie ein Recht auf Privatsphäre und das Recht auf Vertraulichkeit von informationstechnischen Geräten haben, war es mir unmöglich, auf ihre Rechner Einsicht zu nehmen und herauszufinden, wer von meinen Mitbewohnern die Rechtsverletzung begangen haben könnte."

Lässt mich die abmahnende Kanzlei in Ruhe, wenn ich darlege, dass nicht ich für das Filesharing verantwortlich war?
Das kann man nicht so einfach beantworten. Die Sache mit den Abmahnungen ist sehr unübersichtlich. Manche werden verklagt, manche nicht, mit anderen wird ein Vergleich geschlossen.

Wie kommen die abmahnenden Anwälte beim Filesharing überhaupt auf meinen Namen?
Die Anwälte erfahren das von deinem Provider. Hierzu müssen sie dem zuständigen Landgericht sagen, sie suchen den Inhaber eines Internetanschlusses, von dem aus die Urheberrechtsverletzung begangen wurde. Zuständig ist das Gericht am Sitz deines Internetanbieters, bei der Telekom wäre das zum Beispiel Köln. In fast allen Fällen genehmigt das Gericht diese Datenherausgabe, davon bekommst du erstmal gar nichts mit. Die Voraussetzung ist aber, dass die Urheberrechtsverletzung gewerbsmäßig erfolgte.

Was ist denn eine "gewerbsmäßige" Urheberrechtsverletzung?
Eigentlich versteht man "gewerbsmäßig" als etwas, das ich mache, um mein Einkommen zu sichern. Das würde aber auf fast keinen zutreffen, der wegen Filesharing abgemahnt wurde. Daher geht die gerichtliche Interpretation noch weiter: Das Werk, das ich verbreitet habe, muss eine Vielzahl von Menschen erreichen.

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Manche Richterinnen und Richter stellen sich offenbar vor, dass du im Internet immer Millionen von Leuten erreichst und deshalb gewerbsmäßig handelst. Das ärgert mich. Normalerweise habe ich im Internet ja Glück, wenn ich überhaupt 50 erreiche.

Wenn diese Einschätzung offenkundig daneben ist, warum handeln Richterinnen und Richter dann so?
Meiner Meinung nach werden bei den Abmahnungen Rechtsgrundsätze ausgehebelt, damit sehr viele Anschlussinhaber haftbar gemacht werden können. Ich sehe darin rein wirtschaftliche Interessen der Verwertungsindustrie. Das Geschäftsmodell der Verwertungsgesellschaften funktioniert, weil Richter die Content-Industrie unterstützen.

Oft heißt es, Abmahnungen sollen Leute von Urheberrechtsverletzungen abhalten. Das glaube ich nicht. Inzwischen wird Filesharing tatsächlich weniger, aber aus einem anderen Grund: weil Leute auf Streaming-Angebote ausweichen. Es hat sich sogar gezeigt, dass die Content-Industrie von Filesharing profitiert. Die EU-Kommission hat ein Gutachten zum Schaden durch Filesharing erstellen lassen. Das Ergebnis: Ähnlich wie YouTube hat Filesharing einen Werbeeffekt und bewirkt, dass mehr Leute für das Werk zahlen. Es entsteht höchstens bei Blockbuster-Kinofilmen ein kleiner Verlust.

Gibt es auch Richterinnen und Richter, die das Recht eher zugunsten von Nutzerinnen und Nutzern auslegen?
Ja, einige wenden das Recht meiner Meinung nach angemessen an und fragen genau nach: Waren Freunde, Kinder oder Nachbarinnen zu der Uhrzeit des Deliktes vor Ort oder hat der Beschuldigte ein offenes WLAN? In diesem Fall muss nämlich die Gegenseite genau beweisen, wer den Urheberrechtsverstoß begangen hat.

Das Gute an Richtern ist: Ihr Job besteht darin, über Sachverhalte nachzudenken und Menschen zuzuhören. Es ergibt also immer Sinn, deine Situation ruhig darzulegen. Man sollte aber als Prozessbeteiligter nie emotional werden und seinen Missmut kundtun. Das macht dann im Zweifel der Rechtsanwalt pointiert.

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