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Einsatz in Afrika: Piratenjäger ohne Helikopter

Foto: Jens Schlueter/ APN

Schäden und Altersschwäche Deutsche Marine hat nur drei einsatzfähige Hubschrauber

Risse beim "Sea Lynx", altersschwache "Sea Kings": Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE sind derzeit von 43 Hubschraubern der Marine nur drei einsatzbereit. Warum informierte Ministerin von der Leyen nicht früher über das Problem?

Berlin - Das Auslaufen für den Einsatz in fernen Gewässern hatte sich Peter Christian Semrau sicherlich anders vorgestellt. Am Montagmorgen startete der Fregattenkapitän der Marine mit seinem Schiff von Wilhelmshaven in Richtung Indischer Ozean. Dort soll die deutsche Fregatte "Lübeck" ab Anfang Oktober im Rahmen der Operation "Atalanta" beim Aufspüren und Verfolgen von Piraten helfen.

Ein wichtiges Gerät für die Jagd auf die Freibeuter konnte Semrau jedoch nicht mit in die Gewässer vor Somalia nehmen: An Bord fehlten zwei eingeplante Helikopter vom Typ "Sea Lynx". Mit den schweren Maschinen fahnden die Marinepiloten sonst nach den schmalen Skiffs oder Mutterschiffen der Piraten. Allein ihre Präsenz über dem Golf von Aden hat offenbar schon viele Seeräuber von ihren Plänen abgehalten.

Der Grund für die Ausrüstungslücke war schon Mitte Juni aufgefallen. Bei Tests für den Einsatz auf der "Lübeck" entdeckten Techniker am Hubschrauber mit der Marine-Kennung 83-24 einen 20 Zentimeter langen Riss am Heckkonus, der Verbindung von der Kabine des Helikopters und dem hinteren Rotor. Auch sollen erste Nieten abgerissen oder locker gewesen sein.

Techniker zogen den "Sea Lynx" aus dem Verkehr

Die Techniker erklärten den Helikopter, der mit rund 2000 Flugstunden erst weniger als ein Drittel seiner Lebenszeit erreicht hatte, sofort für fluguntauglich. Da in den Sommermonaten bei insgesamt zwölf "Sea Lynx"-Hubschraubern ebenfalls Risse festgestellt wurden, stufte man laut einer internen Präsentation der Bundewehr spätestens Ende Juli 2014 die gesamte Flotte von 22 Helikoptern als nicht "flugklar" ein.

Der Komplettausfall der 22 in den Achtzigerjahren eingeführten Helikopter zur Überwachung des Luftraums über der See und der Jagd nach U-Booten wäre für die Marine ein schwerer Schock, schließlich verfügen die Seestreitkräfte nur über insgesamt 43 Hubschrauber. Neben dem "Sea Lynx" sind noch 21 "Sea King"-Maschinen im Einsatz. Neue Helikopter vom Typ MH90 aber sind frühestens 2018 zu erwarten.

Bei den "Sea Kings" aber ist die Lage noch desolater. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE sind derzeit nur drei flugfähig. Zwei der noch einsatzbereiten Helikopter kommen erst in einigen Wochen mit dem Einsatzgruppenversorger "Berlin" aus dem Einsatz zurück. Derzeit steht nur ein Helikopter für Rettungseinsätze zur Verfügung - das verdeutlicht die katastrophale Lage der Marine.

Ob die restlichen 18 Hubschrauber je wieder einsatzbereit sein werden, ist ungewiss. Sechs dienen nur noch als Ersatzteillager, die übrigen "Sea Kings" werden mühsam repariert. Wegen ihres hohen Alters aber rechnet man nicht damit, dass eine große Zahl je wieder die Einsatzreife erreichen wird. Angesichts der Probleme bei "Sea Lynx" und "Sea King" kann man die Helikopter der Marine also nicht einmal mehr bedingt einsatzbereit nennen.

Spitze des Wehrressorts seit Mitte Juni informiert

Die Bundeswehrführung bemühte sich, die Lage zu relativieren. Ein Sprecher von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach von einer Sicherheitsmaßnahme. Wenn alles gut laufe, würden die "Sea Lynx"-Helis Anfang kommenden Jahres wieder fliegen, ein Heli sei zumindest schon wieder für den Trainingsbetrieb zugelassen. In der Zwischenzeit behilft sich die Marine beim "Atalanta"-Einsatz mit dem Seeaufklärer "P-3C Orion". Trotzdem, sagte der Sprecher, sei die Bundeswehr voll gerüstet.

Die Ministerin, angetreten mit dem Versprechen, mit der jahrelang üblichen Verschleierung von Problemen Schluss machen zu wollen, steht bereits unter Druck. "Entweder wurden dem Parlament Informationen vorenthalten - oder die Ministerin war selbst völlig ahnungslos, dass keiner der 'Sea Lynx'-Hubschrauber einsatzfähig ist", kritisierte die grüne Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger.

Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE war die Spitze des Wehrressorts seit Mitte Juni informiert, damals gingen die Schadensberichte an Generalinspekteur Volker Wieker, der temporär den Rüstungsbereich übersah.

Die neue Staatssekretärin Katrin Suder erhielt nach Amtsantritt Anfang August dann ebenfalls Statusberichte über die Beanstandungen und über die Entscheidung, die Helikopter nicht in den Einsatz zu schicken. Die Frage, warum der Verteidigungsausschuss nicht über die gravierenden Probleme informiert wurde, ließ von der Leyen am Montag unbeantwortet.

Dass die Probleme bekannt wurden, geht offenbar auf den Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus zurück. Nach einem Besuch beim Helikopter-Geschwader soll er das Ministerium gedrängt haben, die Verteidigungsfachleute zu informieren. Königshaus wollte dazu keine Stellung nehmen, allerdings wurden die Parlamentarier tatsächlich am Montag über die Fakten unterrichtet.

Mit dem Desaster scheint von der Leyen endgültig bei der Ausrüstungsproblematik ihrer Truppe angekommen zu sein. Derzeit überprüft eine Unternehmensberatung Pläne für die Neubeschaffung von Marinehubschraubern, die ihr Vorgänger Thomas de Maizière bewilligt hatte. Dass diese MH90-Helikopter den Ansprüchen der Marine genügen, war jedoch schon vor dem Abschluss des Deals hoch umstritten.