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Deutschland Wehrbeauftragter

Die kleinste und marodeste Bundeswehr aller Zeiten

Politischer Korrespondent
Wehrbeauftragter zeichnet desaströses Bild der Truppe

Mehr Geld - das wird Ursula von der Leyen wohl am Mittwoch im Bundestag fordern. Acht Milliarden Euro will sie jährlich für die Truppe ausgeben. Schützenhilfe bekommt sie von Hans-Peter Bartels.

Quelle: Die Welt

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Die Streitkräfte haben von allem zu wenig: Zu diesem drastischen Ergebnis kommt der Wehrbeauftragte in seinem Jahresbericht. Die Verteidigungsministerin reagiert – und verspricht 130 Milliarden Euro.

Sein erster Besuch bei den Soldaten der Bundeswehr führte Hans-Peter Bartels in die Lüneburger Heide. Der Wehrbeauftragte, im Mai 2015 vom Bundestag berufen, entschied sich wenige Tage nach seinem Amtsantritt für eine Visite auf dem Truppenübungsplatz Munster-Süd in Niedersachsen. Dort übte das Panzergrenadierbataillon 371 für seine Aufgabe bei der Nato-Speerspitze, dem neuen Krisenreaktionsverband zur Bündnisverteidigung.

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, stellt zahlreiche Mängel in seinem Jahresbericht vor
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, stellt zahlreiche Mängel in seinem Jahresbericht vor
Quelle: dpa

„Nüchtern, präzise und eindrucksvoll“, so schreibt Bartels nun in seinem ersten Jahresbericht als Wehrbeauftragter, sei ihm von den Soldaten dort das Hauptproblem der Bundeswehr vorgetragen worden, auf das er seitdem immer wieder stoße: „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig.“

Für diese bittere Bilanz führt Bartels eine Fülle von Einzelbeispielen aus Gesprächen mit Soldaten, schriftlichen Eingaben und Truppenbesuchen an. So habe das besagte Panzergrenadierbataillon 15.000 Ausrüstungsgegenstände von 56 Verbänden aus der gesamten Bundeswehr ausleihen müssen, um für seinen Auftrag voll ausgestattet zu sein. Dieses Material fehle nun an anderen Stellen.

Dem Wehrbeauftragten wurde bei seinen Truppenbesuchen von „existenziellen Ausrüstungslücken“ berichtet, die Einsatzbereitschaft, Übung, Ausbildung und „im schlimmsten Fall Leib und Leben“ der Soldaten im Einsatz gefährdeten.

Der Fehlbestand beginne beim Großgerät wie Panzerhaubitzen, Transportflugzeugen, Hubschraubern oder Fregatten, und er reiche bis zu Schutzwesten, Nachtsichtbrillen, Munition oder tauglichen Kampfstiefeln. Dem Bundesministerium der Verteidigung bescheinigte Bartels, die Probleme zwar erkannt, aber noch lange nicht abgestellt zu haben. So seien die Defizite bei den Hauptwaffensystemen wie Panzern, Kampfjets und Transportflugzeugen nur „zu einem geringen Teil behoben“ worden.

Bundeswehr-Tornados sind nachts nicht einsatzfähig

Stell dir vor, du bist Aufklärer und siehst nichts: Tornados der Bundeswehr sind einem Medienbericht zufolge nachts nicht gegen die IS-Miliz als Aufklärungsflugzeuge einsetzbar. Der Grund: Ein Update.

Quelle: Die Welt

Auch der Ersatzteilbedarf für altes Gerät sei weiter nicht gesichert. Und selbst bei der grundlegendsten Versorgung der Soldaten mit persönlicher Ausrüstung hapere es.

Nur ein Beispiel dafür: Beim Gebirgsjägerbataillon 232 waren 2015 von 522 eingeplanten Nachtsichtgeräten Typ Lucie lediglich 96 vorhanden. Von diesen 96 mussten 76 an andere Einsatzverbände abgegeben werden. Von den verbliebenen 20 Geräten waren 17 beschädigt und in Reparatur. Tatsächlich standen dem Bataillon mithin drei Lucies zu Verfügung.

„Übe wie du kämpfst“, so lautet die Vorgabe für die Ausbildung in der Bundeswehr. Mit drei Nachtsichtbrillen von 522 gestaltet sich das eher schwierig.

Das Abstellen solcher Mängel, so führt Bartels weiter aus, „gestaltet sich oft unerklärlich langsam“. Und wenn dann mal etwas in ausreichender Zahl vorhanden ist, weise es gelegentlich Qualitätsmängel auf, wie beispielsweise bei den dienstlich gelieferten Kampfstiefeln, die bei den Soldaten „Blasen und Fußschmerzen“ verursachten – weil im Vergleich zum Vorgängermodell eine Billigvariante bestellt wurde. Fast alles käme „verspätet, verzögert, voller Kinderkrankheiten, in zu geringer Stückzahl und teurer als geplant“, so der Wehrbeauftragte.

Mehr Aufgaben als jemals zuvor

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Bei aller Detailtreue geht es Bartels in seinem Bericht um die großen Linien. So zeigt er die gestiegenen Anforderungen an die Bundeswehr auf, um die Notwendigkeit einer politischen Kehrtwende zu belegen: „Die Truppe ist es leid, es fehlt zu viel. Die Bundeswehr ist an einem Wendepunkt, noch mehr Reduzierung geht nicht.“ Schließlich würden die Aufgaben wachsen.

Nie zuvor in den 60 Jahren ihres Bestehens, so schreibt er, habe die Bundeswehr „eine derartige Fülle unterschiedlicher Aufgaben und Einsätze“ bewältigen müssen: der verlängerte und ausgeweitete Einsatz in Afghanistan mitsamt dem Erstarken der Taliban, die Russland-Ukraine-Krise mit der Wiederentdeckung der Nato-Aufgaben zur Bündnisverteidigung, die Konflikte in Syrien, im Irak und in Mali, ein Dutzend weitere Auslandseinsätze mit kleineren Kontingenten – und dazu der Amtshilfeeinsatz der Streitkräfte in der Flüchtlingskrise in Deutschland, der 2015 teilweise 8000 Soldaten beschäftigte.

So klein wie heute war die Bundeswehr niemals in ihrer Geschichte
Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter

Es sei sehr deutlich geworden, so fasst Bartels zusammen, „dass die Bundeswehr in einigen Bereichen inzwischen ihr Limit erreicht, personell und materiell. Hier ist politisches Nachsteuern dringend erforderlich.“ Die aktuelle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte werde der sicherheitspolitischen Lage jedenfalls nicht gerecht, nötig sei eine „Vollausstattung“.

Neben dem Thema der Mangelverwaltung bei der Ausrüstung sieht der Wehrbeauftragte also auch Defizite beim Thema Personal. Die Streitkräfte seien von 1990 (fast 600.000 Soldaten) auf eine Zielmarke von heute 185.000 Soldaten geschrumpft. Diese Obergrenze werde aber nicht einmal erreicht, derzeit gebe es nur 177.000 aktive Soldaten.

„So klein wie heute war die Bundeswehr niemals in ihrer Geschichte“, schreibt Bartels und fordert: „Die Debatte über Personalstruktur, Aufgaben und Umfang der Bundeswehr (militärisch und zivil) muss geführt werden.“ Ohne Aufstockung, so fürchtet der SPD-Politiker, drohe eine Überlastung der Streitkräfte in wichtigen Bereichen.

Schon jetzt müsse ein Soldat teilweise die Arbeit von zwei oder drei Kameraden erledigen. Oder er müsse in Auslandseinsätze aufbrechen, ohne zuvor die erforderlichen Regenerationszeiten einhalten zu können. Vieles, so heißt es im Jahresbericht, würde nur noch deshalb funktionieren, „weil Soldaten, wenn Not am Mann war, sich Tage und Nächte um die Ohren geschlagen haben und weil sie improvisiert und informelle Wege zum Ziel gefunden haben, wo Dienst nach Vorschrift ins Nichts geführt hätte“.

Die Deutschen wollen mehr Soldaten

Die Mehrheit der Deutschen unterstützt Ursula von der Leyens Überlegungen, die Bundeswehr aufzustocken. Das ergab eine aktuelle Umfrage. Bereits eingeplant sind 7000 neue Stellen für Soldaten.

Quelle: Die Welt

So lobenswert das sein möge: „Belastbarkeit findet dort ihre Grenzen, wo permanente Überbelastung entsteht.“ In manchen Bereichen führt fehlendes Personal sogar dazu, dass Fähigkeiten stillgelegt werden müssen. So kann das 1. U-Bootgeschwader von sieben vorgesehenen Mannschaften derzeit nur drei stellen.

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Auch die Zahl von Rettungsassistenten und Notfallsanitätern sei so „erschreckend niedrig“, dass manches Lazarettregiment keine Sanitäter mehr für die Auslandseinsätze stellen könne. Der Fachkräftemangel betreffe zum Teil ganze Laufbahnen, schreibt Bartels, „wie die Laufbahn der Feldwebel des allgemeinen Fachdienstes und der Fachunteroffiziere in technischen und informationstechnischen, aber auch sanitätsdienstlichen Verwendungen“.

Das Fazit des Wehrbeauftragten zum Thema Personal: Obwohl die Truppe schon Schwierigkeiten habe, „die vorhandenen Dienstposten mit qualifiziertem Personal zu besetzen und die Personalstärke von 185.000 Soldaten tatsächlich zu erreichen, ist die Frage zu stellen, ob diese angesichts des erweiterten Aufgabenspektrums der Bundeswehr noch angemessen ist“. Mit anderen Worten: Der Wehrbeauftragte sieht Bedarf für eine Erhöhung der Obergrenze.

Kritik an „degenerierter Fehlerkultur“

Ausrüstung, Personal – man könnte diese Mängelliste nahezu beliebig erweitern. Im rund 100 Seiten umfassenden Jahresbericht findet sich auch Kritik an der teils maroden Infrastruktur der Liegenschaften, an überbordender Bürokratie, fehlender Flexibilität und einer „degenerierten Fehlerkultur“. Wer all das liest, kann nur zu einem Ergebnis kommen: Die Bundeswehr ist nicht nur so klein, sie ist auch so marode wie nie zuvor. „Drastisch“ nannte Bartels das von ihm gezeichnete Lagebild denn auch.

Seine wichtigste Botschaft ist deshalb folgende: Um alle diese Probleme anzugehen, ist nach Meinung des Anwalts der Soldaten vor allem eines nötig, nämlich mehr Geld im Wehretat. Eine „Bundeswehr nach Kassenlage“ sei nicht verantwortbar, der Wehrbeauftragte verlangt von der Regierung ein Konzept mit Preisschildern: „Das Bundesministerium der Verteidigung sollte alle bestehenden Lücken und Defizite identifizieren und benennen, damit sich der Deutsche Bundestag ein Bild von dem notwendigen finanziellen Aufwand machen kann.“

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) reagiert schnell auf die Vorstellung des Wehrberichts
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) reagiert schnell auf die Vorstellung des Wehrberichts
Quelle: dpa

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen reagierte prompt. Aus ihrem Ressort verlautete, die CDU-Politikerin wolle dem Verteidigungsausschuss des Parlaments am Mittwoch ein Investitionspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro vorstellen. Dieses Geld soll nur in die Ausrüstung gesteckt werden. Die für die nächsten 15 Jahren geplanten Investitionen entsprechen fast einer Verdoppelung der bisher im Wehretat dafür vorgesehenen Mittel. „Diese Verwaltung des Mangels, die muss beendet werden“, hieß es aus dem Ministerium.

Zum Vergleich: Bis 2019 sind bisher für militärische Beschaffung jeweils rund fünf Milliarden Euro im Jahr eingeplant. Setzt sich von der Leyen mit ihren Plänen durch, müssten diese Mittel auf im Durchschnitt knapp neun Milliarden Euro pro Jahr nahezu verdoppelt werden. Für eine bessere Ausstattung der Truppe will die Ministerin auch einen Teil der Bundeswehrreform von Thomas de Maizière kippen. 2011 hatte ihr Vorgänger Obergrenzen für die Ausstattung der Bundeswehr mit großen Waffensystemen wie Panzern oder Kampfflugzeugen festgelegt. Diese sollen jetzt komplett gestrichen werden. Die Truppe soll je nach Lage und Aufgaben ausgerüstet werden.

Von der Leyen muss sich mit Schäuble abstimmen

Noch allerdings sieht die Planung anders aus. Zwar steigt der Verteidigungskostenanteil an der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands von 1,16 Prozent im Jahr 2015 auf 1,18 Prozent in diesem Jahr. Aus diesem Etat aber fließen nur 14 Prozent in die Materialbeschaffung. Nötig sind, so sagen es Experten, etwa 30 Prozent.

Und laut mittelfristiger Finanzplanung wird der Anteil des Wehretats an der Wirtschaftsleistung bis 2019 sogar auf 1,07 Prozent absinken – das wäre dann das niedrigste Niveau in der Geschichte der Bundeswehr. „Damit“, so schreibt es Bartels, „wäre Deutschland von der Einhaltung der in der Nato vereinbarten Zielvorgabe von zwei Prozent noch weiter entfernt als je zuvor.“

Von der Leyen muss ihre Pläne zur Aufstockung des Verteidigungshaushalts nun mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) abstimmen – und anschließend im Kabinett durchsetzen. Über eine personelle Aufstockung der Truppe will sie dann im März entscheiden. Klar ist schon jetzt: Auch mehr Soldaten werden nicht zum Nulltarif zu haben sein.

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