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Gefährliche Strahlung "Das Handy hat im Schlafzimmer nichts verloren": Experte warnt vor Elektrosmog

Tristan Jorde ist Diplom-Ingenieur und Umweltberater der Verbraucherzentrale Hamburg. Er hält regelmäßig Vorträge zum Thema Elektrosmog.
Tristan Jorde ist Diplom-Ingenieur und Umweltberater der Verbraucherzentrale Hamburg. Er hält regelmäßig Vorträge zum Thema Elektrosmog.
© Karin Gerdes (kleines Bild) und Getty Images
Handy, Wlan-Router, smarte Haushaltsgeräte - wir produzieren immer mehr Elektrosmog, aber wie gefährlich ist die Strahlung? Wir haben mit einem Experten über unerforschte Gefahren, Hokuspokus und sinnvollen Schutz gesprochen.

Herr Jorde, viele Menschen fragen sich, wie gefährlich der Elektrosmog ist, dem sie tagtäglich ausgesetzt sind. Was sind die häufigsten Ängste, die bei Ihnen in der Beratung der Verbraucherzentrale auftauchen?

Da gibt es zwei große Ängste: Die einen betreffen Bedrohungen von außen durch Hochspannungsleitungen oder Handymasten. Die anderen drehen sich um selbst generierte Bedrohungen in den eigenen vier Wänden durch Handy, Bluetooth, Wlan.

Wie begründet sind die Ängste?

Das ist eine schwierige Frage, weil es wenig Langzeituntersuchungen gibt. Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen Wirkungen, die unbestritten sind und Wirkungen, die vermutet werden, aber nicht belegt sind. Dann gibt es elektrosensible Menschen, die etwas spüren, wo andere nichts spüren. Und schließlich gibt es noch echte Esoterik, also Geschichten, die sich Menschen einbilden. Alles das existiert nebeneinander und das macht die Behandlung des Themas so schwierig.

Fangen wir mit den bewiesenen Wirkungen auf den Menschen an.

Als wirklich bewiesen gilt eigentlich nur die Erwärmungswirkung von elektromagnetischer Strahlung und die Muskelreizwirkung von elektrischen und magnetischen Feldern. Viele andere Wirkungen sind aber noch kaum untersucht.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, was es mit uns macht, dass die Frequenzen im Mobilfunk- und Drahtlosbereich immer mehr in den Hochfrequenzbereich gehen. Das führt zu ganz anderen Strahlungsintensitäten. Wir Menschen sind auch ein elektromagnetisches System, haben Ströme an der Haut, im Nervensystem, im Gehirn. Diese Interaktionen sind weitgehend nicht untersucht.

Woran liegt das?

Dazu muss man sagen, dass die Mobilfunkbranche da ziemlich die Hand drauf hat. Die dominiert die Forschungsszene, daher gibt es relativ viele bestätigende Studien, die sagen, dass alles super ist und relativ wenige Studien, die sagen, Vorsicht wäre angebracht. Das liegt am Forschungsmarkt und nicht an der tatsächlichen Bedrohungslage.

Gerade werden in Deutschland die Lizenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G versteigert. Wie gefährlich ist die Strahlung der 5G-Frequenzen?

Das weiß niemand. Fest steht, dass wir jede Menge neue Masten in der Landschaft bekommen, was auch mehr Strahlung bedeutet. Das lässt mich aus Sicht des vorbeugenden Gesundheits- und Umweltschutzes stutzig werden. Es gibt ein paar Forscher, die sagen, wir wissen zu wenig darüber, aber das sind eher Einzelmeinungen. Generell wird mit viel Hurra in diese Richtung gezogen.

Wir müssten also eigentlich erst mehr über die Wirkung von 5G herausfinden, bevor wir es einführen?

Auf jeden Fall und das gilt eigentlich schon für die bestehenden Netzstandards. Es gibt kaum Untersuchungen dazu, was hochfrequente Strahlungen über lange Zeit beim Menschen bewirken. Aber es gibt Hinweise, dass wir schlechter schlafen, weil wir Probleme mit dem Melatonin-Stoffwechsel bekommen. Es gibt Hinweise, dass Strahlung Tumore auslöst. Alles Hinweise, nicht wissenschaftlich abgesichert. Aber selbst die WHO nennt Mobilfunkstrahlung potenziell krebserregend, das kann man nicht so einfach wegwischen.

Was kann die Politik tun?

Eine einfache Möglichkeit, die Strahlenbelastung zu reduzieren, wäre eine Roamingverpflichtung für alle Firmen. Im Moment zieht jede Firma in Deutschland ihr eigenes Netz hoch. Die 5G-Versorgung bedeutet nochmal mindestens eine Verdopplung bis Verdreifachung der Masten und wenn das jede Firma für sich macht, kriegen wir eine Mastenlandschaft, die eine Horrorvorstellung ist. Durch eine Roamingverpflichtung, die besagt, dass ein Netz von allen genutzt werden darf, könnte man die Strahlungspunkte deutlich reduzieren.

Was ist mit Elektrosmog, den wir in den eigenen vier Wänden erzeugen?

Private Verbraucher sollten ein bisschen misstrauischer gegenüber dem ganzen Drahtloswahn sein. Wenn sogar die Zahnbürste Bluetooth haben muss und der Lichtschalter drahtlos mit der Lampe spricht, muss man sich im Klaren sein, dass man innerhalb der eigenen vier Wände die Strahlenbelastung erhöht.

Was sind Ihre Praxis-Tipps, um sich im Haushalt zu schützen?

Drahtlos nur da, wo es einen wirklichen Nutzen bringt und nicht einfach, weil es modern und hipp ist. Den Wlan-Router nicht am Schreibtisch in Kopfhöhe aufstellen. Und das Handy möglichst wenig am Körper tragen.

Und auch nicht als Handywecker neben dem Kopfkissen aufstellen?

Das Handy hat im Schlafzimmer nichts verloren. Auch andere elektrische Geräte sollte man nur da haben, wenn man sie unbedingt braucht, und dann möglichst weit weg vom Kopf aufstellen. Insbesondere elektrosensitive Menschen sollten auch beim Radiowecker auf Abstand zum Kopf achten und das Kabel nicht unterm Bett auf Höhe des Kopfkissens vorbeiführen.

Man kann also schon einigen Aufwand betreiben. Welche Auswirkungen spüren denn elektrosensitive Menschen?

Manche hören einen Ton, andere spüren ein Kribbeln auf der Haut, weil die Körperbehaarung darauf anspricht. Nervosität und Schlafstörungen können die Folge sein. Wenn ich schlecht schlafe, kann das viele Ursachen haben, aber es spricht nichts dagegen, es mal mit der Reduzierung von elektromagnetischen Quellen zu probieren.

Es gibt auch spezielle Produkte, die Schutz vor Elektrosmog versprechen. Was ist davon zu halten?

Da gibt es jede Menge Humbug und Scharlatanerie wie den Anti-Strahlungschip, den man sich aufs Handy klebt. Wenn Sie Ihr Handy so abschirmen, das es nicht mehr strahlt, haben Sie auch keinen Empfang mehr. Und wenn sie es nur ein bisschen abschirmen, wird das Handy wegen des schlechten Empfangs permanent auf Höchstleistung senden und strahlen. Da hilft nur: In den Flugmodus schalten, wenn man es nicht braucht, zum Beispiel im Schlaf. Auch Anti-Strahlungsmatten, die man sich unters Bett legen soll, sind eher dumm, weil sie im Zweifel die Strahlung sogar verstärken. Ein Zaubermittel, das Strahlung nicht mehr da ist, gibt es nicht.

Gibt es denn auch sinnvolle Schutzprodukte?

Es gibt Vorhänge oder Jalousien, in die Metallfäden eingewebt sind, die einen Strommast vor dem Fenster abschirmen können. Auch Wandfarbe mit Graphit- oder Metallanteil gibt es, damit wäre ich aber eher vorsichtig, weil die aus anderen Gründen ungesund sein kann. Nur weil sie abschirmt, ist sie nicht unbedingt Öko. Solche Dinge würde ich nur verwenden, wenn ich tatsächlich Strahlung durch eine Messung identifiziert hätte und die Abschirmung einer Wand viel Erleichterung brächte, weil ich sensibel darauf reagiere. Eine Möglichkeit fürs Schlafzimmer ist ein Netzfrei-Schalter, der nicht nur den Strom ausschaltet, sondern auch die Spannung.

Man muss aber auch aufpassen, dass man sich nicht verrückt macht, oder?

Es gibt reale Wirkungen und es gibt Hokuspokus. Wir hatten hier auch schon Verbraucher mit Verfolgungsängsten, die behauptet haben, sie würden von ihren Feinden mit Strahlungskanonen bestrahlt. Das ist dann eher ein psychisches Problem. Elektrosmog ist eben unsichtbar und unschmeckbar und wird daher auch als Ursache für andere Probleme herangezogen.

Weiterführende Informationen: Bundesamt für Strahlenschutz

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