Der meist übersehene Artikel 12

Abstimmung im Europäischen Parlament zu Straßburg. Bild: EU 2019, EP/CC BY-SA-4.0

Warum im Rahmen der meist als Urheberrechtsreform bezeichneten EU-Urheberrechtsreform kaum über den Artikel 12 geschrieben wurde, erscheint nur Außenstehenden als Rätsel

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Über die Artikel 11 (Leistungsschutzrecht) und 13 (Upload-Filter) der EU-Copyright Directive wurde nicht nur viel geschrieben, sondern auch in aller Öffentlichkeit demonstriert. Der dazwischenliegende Artikel 12 (nach alter Zählung, jetzt Artikel 16 ) führte in der ganzen Zeit nur ein reines Mauerblümchendasein, dabei werden die Folgen dieses Artikels die Autoren die in deutschen Medien veröffentlichen, ganz direkt treffen, denn sie sollen in der geplanten nationalen Umsetzung dazu verpflichtet werden, mindestens 50 Prozent ihrer Tantiemen, die sie von der VG Wort erhalten, künftig wieder an die Verlage abzuführen. Damit beabsichtigt man in Deutschland die Uhr wieder zurückzustellen, denn seit 1958 musste ein guter Teil der Vergütung der VG Wort an die Verleger abgetreten werden.

Die neue Rechtslage in Deutschland

Dieses Verfahren änderte sich, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) seine Entscheidung im Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen I ZR 198/13 am 21. April 2016 verkündete. Angestrengt und im Alleingang durchgefochten hatte dieses Verfahren der Wissenschaftsautor Dr. Martin Vogel.

Der BGH stellte fest, dass den Verlegern nach dem Urheberrechtsgesetz keine eigenen Rechte oder Ansprüche zuständen, sondern nur den Urhebern. Die Verleger hätten nur dann einen Anspruch auf einen Teil der Einnahmen, wenn die Urheber ihnen dieses Recht eingeräumt hätten. In der Folge änderte die VG Wort ihre Meldungspraxis und forderte von jedem Autoren für jeden Artikel die Entscheidung, die Vergütung mit dem Verlag zu teilen oder nicht.

Dies war verbunden mit der Zusicherung, dass die Verleger keine Informationen darüber erhielten, wer mit ihnen teilen wollte und wer nicht. Vor dem Hintergrund, dass die Autorenhonorare in Deutschland vielfach eher spärlich ausfallen und seit Jahren stagnieren, war abzusehen, dass das Interesse, die Tantiemen mit den Verlegern zu teilen, nicht besonders ausgeprägt war. Daher drängten diese darauf, die Gesetzeslage so zu ändern, dass der Zustand vor dem BGH-Urteil wieder hergestellt werden konnte.

Dazu bot es sich geradezu an, mit seinen Forderungen in einer geplanten EU-Richtlinie Unterschlupf zu suchen.

Der Text des EU-Dokuments lautet im Detail:

Artikel 12 - Ansprüche auf angemessene Entschädigung: Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass, wenn ein Urheber ein Recht an einen Verlag übertragen oder lizenziert hat, eine solche Übertragung oder Lizenz eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellt, damit der Verlag Anspruch auf einen Teil der Vergütung für die Nutzung des Werks hat, die unter einer Ausnahme oder Einschränkung des übertragenen oder lizenzierten Rechts erfolgt. Absatz 1 gilt unbeschadet bestehender und künftiger Vereinbarungen in den Mitgliedstaaten über die Verleihrechte.

Damit bietet die EU den EU-Mitgliedsstaaten auf den ersten Blick die Möglichkeit, die Verlegerbeteiligung, die gerichtlich untersagt wurde, wieder einzuführen. Zu diesem Punkt hat Telepolis beim Kölner Medienanwalt Christian Solmecke nachgefragt.

Der bisherige Artikel 12 könnte in Deutschland wieder zu einer Beteiligung der Verlage an den Ausschüttungen der VG Wort führen, die 2016 vom BGH als nicht rechtens erklärt wurde. In anderen EU-Staaten gibt es diese Tantiementeilung nicht. Ist es nach EU-Recht zulässig, dass eine EU-Richtlinie für ungleiches Recht in den EU-Staaten sorgt?

Christian Solmecke: Ja, dies ist tatsächlich zulässig und sogar von den EU-Gesetzgebern so gewollt. Es gibt in der Richtlinie sog. kann- und muss-Bestimmungen. Der ehemalige Artikel 12 stellt nur eine kann-Regelung auf. Die Mitgliedstaaten können also eine Verlagsbeteiligung vorsehen, sie müssen es aber nicht. Damit nehmen die Gesetzgeber der Richtlinie eine Rechtszersplitterung bewusst in Kauf. Die offizielle Begründung: Man wolle auf historisch gewachsene Strukturen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten Rücksicht nehmen.

Manche Online-Medien belassen die Rechte beim Urheber oder fordern nur eine kurzfristige Exklusivität (z.B. 3 Wochen). Haben diese dann nach derzeitigem Ausblick auch Anspruch auf die Verlagsbeteiligung?

Christian Solmecke: Hier kommt es darauf an, wie Deutschland die Richtlinie umsetzt. Es ist allerdings zu erwarten, dass Deutschland eine Verlagsbeteiligung wieder einführen wird, weil Deutschland zu den Ländern gehörte, in denen seit über 50 Jahren Praxis war und die Verlage hier sicherlich viel Druck gemacht haben. Wenn eine solche Beteiligung Pflicht ist, dann gilt sie für alle Verlage, unabhängig von individuellen vertraglichen Vereinbarungen im Hinblick auf die Nutzungsrechte. Denn bei der Verlagsbeteiligung geht es ja nicht um Lizenzvereinbarungen, sondern um die Pauschalabgabe als Ausgleich für die Schrankenregelungen wie etwa die Privatkopie.

Ob eine Festschreibung eines 50prozentigen Verlegeranteils an den Vergütungen der VG Wort, wie sie in der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht offensichtlich beabsichtigt ist, vor Gericht Bestand haben wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Das bisherige System scheint jedoch nicht mehr vollumfänglich haltbar.

Warum genießt Amazon bei den Speichermedienabgaben Sonderrechte?

Ein langjähriges Ärgernis konnte bislang noch nicht beseitigt werden. Die Tantiemen, welche die VG Wort verteilt, werden zu einem nicht unerheblichen Teil aus den sogenannten ZPÜ-Abgaben gespeist, die beispielsweise auf Speichermedien abgeführt werden müssen. Da fällt es auf, dass der Online-Händler Amazon, der in Deutschland einen beachtlichen Anteil am Buchhandel erobert hat, auf seinen Verkauf von Speichermedien keine ZPÜ-Abgabe entrichtet.

Hierbei kommt dem amerikanischen Händler die Tatsache zu Hilfe, dass er seine Rechnungen in Luxemburg stellt und für die ZPÜ-Abgabe nicht der Lauf der Warenlieferung relevant ist, sondern der Ort der Rechnungsstellung. Für Speichermedien, die aus Luxemburg an deutsche Endkunden verkauft werden, ist zwar die deutsche Mehrwertsteuer abzuführen, nicht jedoch die ZPÜ-Abgabe. Der ZPÜ ist es bis heute nicht gelungen, dieses Malheur zu korrigieren.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.