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Margarete Stokowski

Erziehung Der wahre Kita-Skandal

Schweinefleischverzicht, "Indianer"-Verbot - Kitas werden immer wieder zum Schauplatz gesellschaftlicher Debatten. Viel zu selten wird der strukturelle Skandal thematisiert: die miese Bezahlung des Personals.
Kind in einer Kita: Frühenglisch, Baby-Yoga und -Ballett

Kind in einer Kita: Frühenglisch, Baby-Yoga und -Ballett

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Andreas Arnold/ DPA

Eine Sache, die ich nicht verstehe, ist, warum ErzieherInnen nicht mindestens dieselbe gesellschaftliche Wertschätzung erfahren wie, sagen wir mal, ProfessorInnen oder Ärzte. Und mit Wertschätzung meine ich sowohl Respekt als auch Geld. Beim Respekt sieht es bisweilen - theoretisch - okay aus, beim Geld oft unterirdisch.

Es gibt immer wieder Umfragen zum Ansehen bestimmter Berufsgruppen, Feuerwehrleute schneiden darin meistens ziemlich gut ab, JournalistInnen eher mittelmäßig, VersicherungsvertreterInnen ganz schlecht. In einer forsa-Umfrage des Deutschen Beamtenbunds DBB (PDF)  sagten 80 Prozent der Befragten, dass ErzieherInnen bei ihnen ein hohes oder sehr hohes Ansehen genießen, sie liegen damit zwischen PolizistInnen und RichterInnen. Ziemlich gut, eigentlich. Sie verdienen aber, ähnlich wie Alten- und KrankenpflegerInnen, die ebenfalls sehr gut abschneiden, viel zu wenig.

Kaum Geld für "Frauentätigkeiten"

Kleiner Einschub: Lustig übrigens, wie man an diesen Umfragen sehen kann, wie das funktioniert, was in Sozialwissenschaften "soziale Erwünschtheit" genannt wird: Müllmänner und -frauen hatten der forsa-Umfrage zufolge bei 72 Prozent der Befragten ein hohes bis sehr hohes Ansehen (noch vor PilotInnen und ProfessorInnen), und es ist leicht vorstellbar, dass Leute sagen, "ja, klar, ich hab großen Respekt vor Müllmännern", aber ich will einmal die Eltern sehen, die sich ehrlich freuen, wenn ihre Tochter ihren neuen Freund vorstellt, der Müllmann ist.

Nun ist es nicht so, dass ich es überhaupt nicht verstehe, warum Erziehungsberufe schlecht bezahlt sind. Alle Berufe, in denen Tätigkeiten ausgeübt werden, die klassischer- und traurigerweise immer noch als "Frauentätigkeiten" gelten, sind schlecht bezahlt: alles, was mit kleinen Kindern zu tun hat, Pflege von Alten und Kranken, Putzen. Obwohl jede Gesellschaft ohne diese Tätigkeiten komplett in sich zusammenfallen würde, verdienen Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, oft sehr schlecht, und arbeiten zudem oft schwarz, ohne jede Absicherung. Leider reicht es nicht, wenn alle paar Jahre mal ein Minister mit einer Merci-Schachtel in einer Kita vorbeikommt und süße Fotos machen lässt.

Laut einer gerade veröffentlichten OECD-Studie zu frühkindlicher Bildung  ist in Deutschland nur ein Viertel der Fachkräfte mit dem Einkommen zufrieden, viele fühlen sich in ihrem Job nicht ausreichend anerkannt, und zudem öfter stark belastet: "Deutsche Fachkräfte berichten nicht nur besonders häufig von mangelnder Anerkennung, sondern auch häufiger als in den anderen untersuchten Ländern von erhöhter Arbeitsbelastung durch Aufgaben, die ihnen zugeteilt werden, weil Kolleginnen oder Kollegen abwesend sind."

Tagelange Aufregung wegen der Speisekarte

Ich finde das ziemlich beachtlich zu einer Zeit, in der Kleinkinder immer früher in Betreuungseinrichtungen gegeben werden und Leute ihre Zweijährigen für viel Geld zum Frühenglisch und Baby-Yoga oder -Ballett bringen. Als im Sommer eine Leipziger Kita entschied, auf Schweinefleisch und Gelatine zu verzichten, war die bundesweite Aufregung tagelang riesig. Die Aufregung darüber, dass ErzieherInnen oft chronisch unterbezahlt und überlastet sind, bleibt aus, obwohl die Folgen katastrophal sind.

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Kitas werden immer wieder zum Schauplatz gesellschaftlicher und populistisch instrumentalisierter Diskussionen, sei es in Fragen der Ernährung oder wenn es darum geht, ob es noch okay ist, wenn Kinder "als Indianer" zum Fasching gehen. Gleichzeitig ist der eigentliche Skandal an Kitas ein dauerhafter Zustand: die schlechte Bezahlung und Überforderung vieler ErzieherInnen. Es fehlt ein Aufstand. Von Eltern, Großeltern, potenziellen Eltern, von allen, die ein Interesse daran haben, dass Kinder die Betreuung bekommen, die sie brauchen: in einem Umfeld, das sie schützt und ihnen so viel Zuwendung zukommen lässt, wie sie brauchen, von Menschen, die wissen, wie das geht.