Maxeiner & Miersch / 13.04.2014 / 11:36 / 15 / Seite ausdrucken

Irgendwie schuldig oder so

Das Kabarettisten-Duo „Die Märchenprinzen“ hatte in den 90er-Jahren eine Nummer im Programm, die „Betroffenheits-Stadl“ hieß. Darin wurde die demonstrative Selbstbezichtigung des deutschen Kirchentagsmilieus im Stile einer Volksmusiksendung parodiert. Als Höhepunkt führten die beiden einen Schuhplattler auf, bei dem sie sich selbst Ohrfeigen gaben und dazu sangen: „Wir sand schuld, dös is Kult.“

Der Wunsch nach Selbstbezichtigung hat seither fast die gesamte gebildete Mittelschicht erfasst und gehört heute zum guten Ton, wie regionale Küche und Windkraft-Aktien. Ob Klimawandel oder Armut in Afrika, Terrorismus oder dem Rückgang der Rotbauchunken. Kommt das Gespräch auf eines dieser Themen, wird immer jemand sorgenvoll die Stirn runzeln und sagen, daran seien „wir alle“ schuld.

Ein besonders schönes Beispiel dafür, bietet ein aktueller Werbespot der katholischen Wohltätigkeitsorganisation Caritas. Darin wird eine deutsche Familie gezeigt. Der Mann wässert den Rasen mit einem Gartenschlauch, der in der Erde verschwindet. Dann sehen wir, wie der gleiche Schlauch irgendwo in Afrika wieder aus der Erde kommt. Ein armer Bauer versucht sein Feld zu bewässern. Aber das Wasser versiegt, weil ja der deutsche Gartenbesitzer schon alles verbraucht hat. In einer anderen Szene fährt die Frau in ihrem Auto. Die Abgase des Wagens bilden eine immer größere Wolke. Als sich der Qualm wieder lichtet, sehen wir hustende Kinder irgendwo in Asien.

Warum fällt bei der Caritas niemandem auf, was für ein Quatsch da insinuiert wird. Dass der Wasserverbrauch im regeneichen Deutschland in keinerlei Zusammenhang mit Wassermangel in Afrika steht. Dass Autoabgase der Deutschen mit der heftigen Luftverschmutzung in manchen asiatischen Städten rein gar nichts zu tun haben.

Uns fallen zwei Gründe ein: Erstens, weil Menschen im Kulturbetrieb oftmals nichts über Ökonomie lernen wollen. Sie fühlen sich im Nebel pauschaler Annahmen am wohlsten: Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Der zweite Grund: Wer so denkt, kann sich gemütlich zurücklehnen und sich mit seinem Schuldbewusstsein schmücken. Denn alles ist so schlimm, dass man gar nicht erst anfangen muss, etwas zu verändern.

Das hatten auch schon die „Märchenprinzen“ erkannt. Der Betroffenheitskult ist nichts als eine eitle Ausrede für die eigene Bequemlichkeit.

Erschienen am 11.04.2014 in DIE WELT

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Leserpost

netiquette:

Maria Leuschner / 16.04.2014

Liebe Caritas, noch ein Wort zu Ihrer Verlogenheit: Sie bewarben kürzlich auf Ihrer Verbandshomepage ein Buch einer Gegnerin unserer Werteordnung, “Gender Mainstreaming”. Die Autorin Tanja Dräger vertritt die genderideologische Ansicht, “dass das Geschlecht keine Eigenschaft eines Individuums ist, sondern ein Element, das in sozialen Situationen entsteht”. Nur auf Protest hin - sonst hätten Sie wohl dieses Machwerk weiterhin als “empfehlenswerte Lektüre” beibehalten - stellten Sie die Bewerbung dieses Machwerkes ein. Ich schäme mich als Katholikin für Ihren Verein, für den ich ehrenamtlich tätig bin. Ich werde überall und zu jeder nur möglichen Gelegenheit Ihre Unwahrhaftigkeit benennen. Maria Leuschner Dresden

Marc Boos / 16.04.2014

@Markus Freuler: Sie haben Recht: Die Kollegen hätten in ihren Postings dazuschreiben sollen, dass sie für die Caritas schreiben. Ihr Bild, wir würden “dummdreiste Gutmenschenkampagnen” machen, sei ihnen gegönnt. Wenn diese den einen oder anderen zum Nachdenken bringen und er sein Konsumverhalten verändert, hat sie aus meiner Sicht ihr Ziel erreicht. Marc Boos (Online-Redakteur caritas.de)

Jürgen Pieper / 15.04.2014

Nette Erklärungsversuche einiger Leserkommentare hier. Nur: Werbung erklären ist wie Witze erklären ...

Melanie Müller von Klingspor / 15.04.2014

In der Kampagne geht es nicht um Schuld. Es geht um globale Verantwortung. Am deutlichsten wird es bei dem Beitrag über die Textilfirmen und über die Handys. Die Kampagne - so man denn bereit ist, sich damit zu beschäftigen - zeigt ja auch Lösungsansätze auf. Natürlich ist es unbequem, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ich das T-Shirt für 5,99 Euro wirklich haben muss. Und natürlich ist es ein Hinterfragen der eigenen Konsumgewohnheiten, wenn ich immer das neueste Handy haben will. Globale Verantwortung ist halt nicht so bequem, dass man einfach so weitermacht, wie bisher. Schuld wird meines Erachtens nicht vermittelt. Informationen aber sehr wohl - wenn man unter “Globale Nachbarn” online nachliest, finden sich Infos und Handlungsalternativen. Es ist doch unbestritten, dass es ein internationales Bewusstsein für Themen, wie den Umgang mit Rohstoffen, klimafeindliches Konsumverhalten, Arbeitsmigration, usw. braucht. Dafür finden Klimagipfel statt. Dafür gibt es Webseiten, auf denen man sich über seinen eigenen ökologischen Fußabdruck informieren kann. Die Caritas hat das Thema doch nicht neu erfunden. Nur komprimiert in den Fokus gerückt. Was man der Kampagne allenfalls vorwerfen kann, ist, dass sie zu viel auf einmal möchte. Klima, Rohstoffe, Migration, Flucht und Vertreibung, Integration - das ist ein Querschnitt nationaler und globaler Themen, der in der Verdichtung der Kampagne erdrückend wirken kann. Allerdings leistet die Webseite sehr gute Unterstützung im Aufzeigen von Handlungsalternativen. Mit moralinsaurer Schuldzuweisung hat die Kampagne nichts am Hut.

Markus Freuler / 15.04.2014

Es muss wohl Zufall sein, dass die Herren Wagner, Schoknecht, Gal und Westfeld, die ja alle die “Zusammenhänge” so ganz genau checken, und die Caritas ganz, ganz toll finden, ihre Brötchen allesamt bei eben dieser Caritas verdienen. Und einfach vergessen haben, es zu erwähnen. Liebe Caritas, so doof wie Eure dummdreisten Gutmenschenkampagnen sind die Leute dann doch nicht.

Max Wedell / 14.04.2014

Man kann nur vermuten, woher diese merkwürdige Lust an der Selbstbezichtigung kommt. Es gibt ja kaum ein Übel auf dieser Welt, bei dem unsere linken Weltversteher nicht schnurstracks die Ursachen in Deutschland, bei “uns” sehen. Z.B. kürzlich, als unser nationalmasochistischer Vordenker Jakob Augstein sich über die Besetzung der Krim durch Rußland äußerte, an der selbstverständlich Europa, noch genauer natürlich Merkel schuld ist, nicht etwa Putin (weil sie, wenn ich das richtig verstand, der Ukraine angeblich irgendwelche unangemessenen “Hoffnungen” gemacht habe). Nun wird das also schon in der Werbung bedient, wie M&M aufzeigen. Was aber läuft da in der Psyche der Betreffenden ab, damit eine Schuld als lusterzeugend empfunden werden kann, wie das scheinbar der Fall ist? Eine beim Konsumenten Unlust erzeugende Werbung wäre kontraproduktiv, da sie einer positiven Bindung an Produkt/Firma entgegensteht. Meine Hypothese dazu ist, daß naturgemäß die Deutschen in ganz besonderem Maße mit einer tatsächlichen Schuld konfrontiert sind, nämlich der Schuld eines Teils ihrer Vorfahren an den bekannten Ereignissen während der Nazizeit. Der Verstand kann einem Nachfahren 1000mal sagen, daß daraus keine eigene, persönliche Schuld ableitbar ist, der Bauch fühlt doch anders. Wie vermeidet man in einer solchen Gefühlslage die Frustration, die Unlust? Viele Deutsche machen das wohl durch die Flucht nach vorne… durch das Zugeben der Schuld. Ist das nicht doch etwas irgendwie Edles? Die Zugebe-Handlung wird mit der Zeit als lustbesetzt antrainiert (von anderen oder einem selber), nachgelagert bzw. eng verbunden damit das Betroffensein und sein Herzeigen. Für wie edel man diese eigene “Bewältigung” der Schuld am Ende hält, die im Zugeben und als-verinnerlicht-herzeigen besteht, klingt an, wenn etwa das Holokaust-Mahnmal als etwas bezeichnet wird, “um das uns andere Nationen beneiden”. Es als ausgesprochen angenehm zu empfinden, sich selbst für ausgesprochen “edel” zu halten, ist jedenfalls wohl menschliche Konstante. Ist das Zugeben einer Schuld dann erst einmal solcherart lustbesetzt, so ist es am Ende ja egal, welche Schuld es im Einzelnen ist, d.h. das Anerkennen, Annehmen und Zugeben jeglicher Schuld wird lustvoll empfunden, nicht nur die aus der Zeit des Nationalsozialismus Geerbte. Ob die Schuld real oder erfunden ist, spielt, die von M&M gebrachten Beispiele zeigen es, kaum eine Rolle, da es hier um psychische Vorgänge geht, die in weiten Teilen wohl unter- oder gar unbewußt ablaufen. Solange der Bauch irgendwie “denkt”, daß das Wasser, was hier verbraucht wird, in Afrika fehlt, ist doch alles in Ordnung… d.h. die Schuld kann lustvoll auf sich genommen werden. Nochmal, das ist meine Hypothese über die international weitgehend auf Deutschland beschränkte, fast nur dort anzutreffende Lust an der Selbstbezichtigung (Man könnte fast schon von einem deutschen Nationalcharakter sprechen) bzw. ihre Genese (Es gibt ja kein anderes Land mit einer annähernd vergleichbaren Geschichte). Die Hypothese M&Ms;, die Selbstbezichtiger wollten hier nur einen bequemen Weg gehen, sich nur besser zurücklehnen und gar nichts tun, kann ich hingegen überhaupt nicht nachvollziehen. Will der Mensch einem Problem aus dem Wege gehen, dann ist die effektivste Strategie die des Verdrängens. Die Selbstbezichtigungsmanie ist aber gerade der Gegenpol des Verdrängens, alles wird ans Licht des Tages gezerrt, und wenn es nicht genügend Echtes gibt, das zur Konstruktion einer Schuld herhalten kann, zu der man sich lustvoll bekennen kann, erfindet man eben auch mal gern was. Eine Ursache-Problem-Beziehung zu erfinden (wie in der genannten Werbung), um sich dann aber besser zurücklehnen zu können und nichts zu tun… das ist widersinnig, und M&Ms; Hypothese erklärt auch nicht weiter, was da genau abläuft und wie das zusammenhängen soll. Eher vermute ich (wenn ich noch ein wenig weiter westentaschenanalysieren darf), daß M&M mit dieser Hypothese zum Ausdruck bringen wollten, was sie (und ich auch) angesichts dieser manischen Selbstbezichtiger und ihrem Selbstbefriedigungstrip denken: Die gehen uns gehörig auf den Senkel, und da ist natürlich auch eine gehörige Portion Verachtung, die man diese Leute auch gern ein klein wenig spüren lassen möchte (eine Retourkutsche, denn die verachten uns ja auch, als die mit dem unterentwickelten Schuldbewußtsein, also als die “weniger Edlen”. Wie aber fährt man einem sich in der Pose des hochsensiblen Allesverstehers (geht Hand in Hand mit der Schuldmanie) Gefallenden am besten an den Karren? Natürlich indem man versucht, ihm nachzuweisen, daß ihm in Wirklichkeit eigentlich alles am A… vorbei geht…

Harald Westbeld / 14.04.2014

Nicht um Schuld geht es bei der Jahreskampagne der Caritas “Globale Nachbarn - weit weg ist näher, als du denkst”, sondern darum bewusst zu machen, dass unser Tun nicht ohne Auswirkungen auf Menschen in anderen Ländern bleibt und wir in diesem Sinne Mitverantwortung tragen. Entsprechend hat es jeder von uns in der Hand, ein Stück dazu beizutragen, dass Missstände sich ändern. Nur Plakate und ein Video “bildlich” zu nehmen, greift zu kurz. Denn die müssen einfach gestaltet sein, um im Vorbeigehen oder -schauen Aufmerksamkeit zu erzeugen und neugierig zu machen. Wer einen Schritt weiter geht und das weitere Informationsangebot des deutschen Caritasverbandes zur Kampagne annimmt, wird die Intention verstehen. Ziel ist, die Globalisierung menschlicher zu gestalten. Dazu gibt es mehr als den Spot: caritas online - Globale Nachbarn

Georg Wagner / 14.04.2014

Lieber Maxeiner und Miersch: MIR gefällt der Spot sehr und ich finde ihn gelungen! Es geht nicht um Schuldzuweisungen sondern um Verantwortung. Was ist denn Ihre Meinung zum Müllexport? Ach ja, dafür bezahlen wir ja den grünen Punkt…

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