Zum ersten Mal seit Inkrafttreten eines verschärften Gesetzes gegen das Leben auf der Straße ist in Ungarn ein Obdachloser vor Gericht gestellt worden. Polizisten hatten den wohnungslosen Mann auf einer Parkbank in der Kleinstadt Gödöllő bei Budapest angetroffen und festgenommen, berichtete das Nachrichtenportal 444.hu.

In Ungarn gilt seit Montag ein neues Gesetz, das Obdachlosigkeit kriminalisiert. Nur zwei Tage später sprach das Kreisgericht in Gödöllő gegen den in Handschellen vorgeführten Obdachlosen eine Verwarnung aus. Dem Gesetz zufolge werden Obdachlose, welche die Polizei im öffentlichen Raum antrifft, zunächst verwarnt. Nach drei Verwarnungen innerhalb von 90 Tagen eröffnet die Behörde ein Ordnungsstrafverfahren. Dieses kann mit einer Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit oder mit einer Haftstrafe enden.

Bei dem Fall in Gödöllő war unklar, ob die Polizisten den Obdachlosen tatsächlich dreimal verwarnt hatten, bevor sie ihn festnahmen, sagte der Pflichtverteidiger des Betroffenen dem Portal 444.hu. In der Hauptstadt Budapest sind seit Montag die Obdachlosen aus den Unterführungen der Innenstadt so gut wie verschwunden. Die Polizei hatte sie zuvor vor den Auswirkungen des neuen Gesetzes gewarnt.

Zugleich sei aber kein signifikanter Anstieg der Bewohnerzahlen in den Obdachlosenasylen zu verzeichnen gewesen, berichtete das Portal index.hu. "Das neue Gesetz zwingt die Obdachlosen zum Herumwandern", zitierte das Portal den Direktor der Zivilorganisation Menhely (Asyl), Zoltan Aknai. Sie würden einfach die von der Polizei derzeit stark kontrollierten Unterführungen meiden, fügte er hinzu.

30.000 Obdachlose, 19.000 Unterkunftsplätze

Vereine, die Obdachlosen helfen, kritisieren das neue Gesetz als unmenschlich. Die Regierung des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán wolle damit lediglich erreichen, dass die Folgen der Armut und einer unsozialen Wohnungspolitik aus dem Stadtbild verschwinden, argumentieren sie. Die Regierung behauptet wiederum, dass sie die Obdachlosen von der Straße wegbekommen möchte, wo sie verschiedenen Gefahren und bald auch winterlichen Wetterverhältnissen ausgesetzt seien.

Stattdessen sollen Menschen ohne Unterkunft nach dem Willen der Regierung in Obdachlosenasylen unterkommen. Die meisten Obdachlosen wollen aber nicht dorthin. Diese Unterkünfte seien überfüllt, andere Bewohner würden einen dort bestehlen und es fehle jeder Raum für Privatheit, führen sie aus.

Den Vereinen zufolge stünden außerdem – anders, als die Regierung behauptet – gar nicht genügend Plätze in den Asylen zur Verfügung. Für geschätzte 30.000 Obdachlose seien nur 19.000 Unterkunftsplätze vorhanden.

In Ungarn gibt es nur wenig sozialen Wohnraum. Schon in der kommunistischen Zeit hatte der Staat die Bürger zur Anschaffung privater Wohnungen und Häuser motiviert. In die Obdachlosigkeit rutschen deshalb auch Menschen, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes aus dem Gleis geworfen werden. Das betrifft laut seinem Verteidiger auch den Mann, der in Gödöllő vor Gericht gestellt wurde. Demnach hatte er vor vielen Jahren als Ingenieur gearbeitet. Als er den Job und danach seine Wohnung verlor, sei er auf der Straße gelandet.