Gastautor / 16.04.2014 / 23:35 / 1 / Seite ausdrucken

Intellektuelle sind politikfähig – zumindest in Costa Rica

Marko Martin

Der Geschichtsprofessor hatte sich etwas verspätet: Stau in den Straßen von Costa Ricas Hauptstadt San José. Um dem abzuhelfen und auch die Luftverschmutzung in den Griff zu bekommen, war die Regierung auf die Idee verfallen, Wagen mit bestimmten Kennzeichen an bestimmten Tagen nicht mehr ins Stadtzentrum zu lassen. “Theoretisch ist also jeder mal dran – nur haben die Reichen Zweitwagen, um auch diese Regelung zu umgehen.”

Für den 1958 geborenen Luis Guillermo Solis, einst Generalsekretär der Regierungspartei, war dies ein weiterer Beleg dafür, dass das Sozialstaatsmodell des mittelamerikanischen Ausnahmelandes längst geschleift sei. Überdies der Skandal: Anstatt im Demokratie-, Transparenz-, Bildungs-, Gesundheits- und Lebensqualitäts-Index weiterhin mit Chile um die jeweils ersten Plätze zu konkurrieren, sei sein Heimatland nun häufig erst auf dem dritten Platz zu finden, hinter Uruguay. Als der freundlich-skrupulöse Intellektuelle das Erstaunen im Gesicht des deutschen Gastes sah, setzte er lächelnd hinzu: “Naja, nichts schlimmer als falscher Nationalstolz.” Das war vor vier Jahren.

Diese Woche nun wurde Luis Guillermo Solis in einer Stichwahl zum neuen Präsidenten seines so sympathisch selbstkritischen Landes gewählt – mit 78 Prozent aller Stimmen. Dass Intellektuelle politikfähig sind, hatte er freilich schon in den achtziger Jahren bewiesen, als er für den damaligen Präsidenten und späteren Friedensnobelpreisträger Òscar Arias jenen Friedensplan mit erarbeitete, der die blutigen Bürgerkriege in den Nachbarländern zu beenden half.

So wohltuend diese in Deutschland übrigens kaum zur Kenntnis genommene Nachricht aber auch ist, um der rüden Schergenwelt der Putins, Assads, Kims, Castros und Maduros zumindest symbolisch etwas Humanes entgegenzusetzen: Der sozialliberale Professor – erklärter Fan von Genscher und Brandt und in seiner Erinnerung 1990 als Gast auf dem Vereinigungsparteitag von ostdeutscher SDP und westdeutscher SPD zu Tränen gerührt – ist in seiner Gewissenhaftigkeit keineswegs eine Ausnahme.

Bereits in den fünfziger Jahren – mit José “Pepe” Figueres regierte eine Art schlitzohriger Adenauer, der gerade mit US-Hilfe einen Angriff des nicaraguanischen Diktators Somoza zurückgeschlagen hatte – leuchtete das kleine Land. Auch wenn sich der Gewaltneurotiker Che Guevara bei seinem Aufenthalt hier nach eigenem Bekunden tödlich gelangweilt hatte (was zählen schon erfolgreiche Sozialreformen vor dem blutigroten Horizont von la revolución), der von Somoza verfolgte Dichter Ernesto Cardenal schrieb damals eine der wenigen Hymnen, die je auf einen kapitalistischen Wohlfahrtsstaat verfasst wurden: “In Costa Rica singen die Fuhrleute ... / Und die Musik spielt auf dem Dorfplatz, / und in San José sind die Balkone und Fenster / voll Mädchen, voll Blumen. / Und die Mädchen spazieren im Park. / Und der Präsident geht zu Fuß in San José.”

Allerdings: Der Priesterdichter Cardenal suchte später sein Heil eher an der Seite des autoritären Daniel Ortega, bis er vor ein paar Jahren mit ihm brach, um sich einem bizarren Hugo-Chávez-Kult zuzuwenden. In Costa Rica aber, über das der snobistische Revolutionsfreund Graham Greene einmal mokant schrieb, dort wäre “nie was los”, wird auch der neue Präsident zu Fuß gehen. Glücklich das Land, das solch unprätentiöse Alltagshelden hat.

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Leserpost

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Hans Georg / 17.04.2014

Vor 20 Jahren noch lautete die Frage: “Costa Rica, das ist doch diese Insel da”. Klagte man “Costa Rica ist keine Insel, sondern Festland” hieß es: “Ach du in deinem Costa Rica, das nicht mal eine Insel ist….” Manche beschimpfen auch das Land als „Bananenrepublik“, was so falsch nicht ist, wäre es kein Schimpfwort aus Deutschland. Dass Don Solis gewann, liegt jedoch nicht allein daran dass er ein Intellektueller ist. Sondern auch daran, dass die Ticos es einfach satt haben, die Korruption, das Geschwafel und die Lügen der untereinander verfilzten Berufspolitiker vom Schlage eines Jonny Arraya, der als Alcalde, Buergermeister, von San Jose, den schönen Nationalpark verschandelt hat mit seinen Steinplatten, die er in seiner eigenen Fabrik herstellen ließ. Hast du sein Haus gesehen, oben auf dem Weg nach Santa Ana, mit seinen 80 Zimmern? Nein, er wohnt nicht dort.  Das Haus ist lediglich die Schlafstätte seiner Gäste, wenn er seine Fiesta macht. Dass du, mein lieber Marko, allerdings Don Pepe als eine Art „schlitzohrigen Adenauer“ bezeichnest, verzeihe ich dir nie, Niemals. Dass du die Leistung eines Don Pepe reduzierst auf den damals möglichen Angriff Somozas, zeugt nicht gerade von blendendem Wissen. Die eigentliche Leistung des Don Pepe und des gesamten Costa Ricas ist es, dass Don Pepe im Jahre 1948 (!)  das Militaer in Costa Rica mit den Worten „Nie wieder soll ein Bruder auf den Bruder schießen“ ersatzlos abschaffte. Schau dir doch mal unser Nacionalmuseum gründlicher an. Seit dieser Zeit, 1948, gibt es in Costa Rica weder Militär noch Paramilitär, ja sogar die Fabrik eines israelischen Waffenbauers wurde untersagt. Die ehemaligen Militärausgaben fließen seit knapp 70 Jahren in die Schulen und die Krankenkasse. Das, Markus, ist die eigentliche Leistung des Don Pepe, die auf der Welt einmalig ist. Nur für Nachfragen: Nein, es gibt auch keinen militärischen US-Ableger im Land. Wir sind so frei. Während Adenauer noch die Atombombe wollte, hat Don Pepe das Gegenteil getan. Und du vergleichst ihn nun mit diesem Militärverliebtem alten Mann, der in Deutschland wieder das Militär eingeführt hat? Schande über dich. Der Ron „Centenario“ oder der „Flor de Cañe“ ist für nächste Woche gestrichen, damit du es weißt. Da sich allerdings der Rest deines Beitrages sich wohltuend vom übrigen Getöse der Nichtwisser abhebt, das sollst du wissen. Saludos! Y pura vida.

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