Gastautor / 18.12.2014 / 19:24 / 32 / Seite ausdrucken

Pegida-Sachsen sind ziemlich arabisch

Von Marko Martin

Das vielleicht nicht gänzlich landeskorrekte Geständnis gleich voran: Nein, ich bin kein besonderer “Freund der arabischen Kultur” – ebenso wenig wie jenes ostdeutschen Brauchtums, dessen sächsische und erzgebirglerische “Räuchermänneln” inzwischen jeden Montag herumschimpfend die Straßen der Dresdner Innenstadt füllen.

Allerlei Leute, die bis 1989 noch in FDJ-Hemden steckten oder auf Warnung ihrer Eltern (“Fall’ bloß ni off”) die roten und blauen Halstücher der DDR-Pioniere trugen, erklären nun der Republik, wie sie das “Abendland” zu retten gedenken. Immerhin hat einer der Klügeren das Adjektiv “christlich” noch schnell um das unverfänglichere “jüdisch-christlich” erweitert, doch gerade für diese Camouflage gilt, was Alan Posener kürzlich lapidar notierte: “Um zu verstehen, wie es gerade in Dresden mit dem ‘Jüdisch-Christlichen’ stand, genügt es, Victor Klemperers Tagebücher zu lesen.”

Nun sind die dortigen Pegida-Biedermänner samt dauergewellten Muttis in ihrer Mehrheit gewiss keine Nazis – ebenso wenig wie die von ihnen zur Gefahr hochstilisierten “nicht integrierten” Muslime allesamt Islamisten sind. Beiden allerdings – sofern sie sich nämlich zuvörderst als Gruppe, religiöses Kollektiv und homogene Abstammungsgemeinschaft definieren – eignet die gleiche Bräsigkeit eines als Ignoranz geborenen, zutiefst schalen “Selbstbewusstseins”.

So betrachtet, macht es tatsächlich keinen großen Unterschied, ob man in einem türkisch-arabisch dominierten Neuköllner oder Kölner Café sitzt und unflätigem Jungvolk und deren schmerbäuchig den Gebetskranz klickenden Erzeugern beim Herummosern zuhört oder dem Lamento sächsischer Demonstranten lauscht. Beide nämlich eint das Unbehagen an einer modernen Gesellschaft, deren Ambivalenz und Ausdifferenziertheit mitunter (ja doch) durchaus ridiküle Züge annehmen kann – siehe etwa die sprachlich ausufernden Benimmregeln in der gegenwärtigen Genderdebatte.

Anstatt dem jedoch mit einer souveränen Mischung aus Neugier und Ironie zu begegnen, wird ein Popanz aufgebaut. Vor einer angeblichen “Entmännlichung” ihres sozialen Umfeldes haben deshalb so manche Wutsachsen die gleiche Panik wie ihre ebenso traditionell ressentimentgeprägten muslimischen Konterparts. Es rächt sich halt, mit 1990er-Slogans wie “Helmut Kohl tut uns wohl” aufgewachsen zu sein – oder sozialisiert in einem paternalistischen Rahmen, in welchem Söhne mit Erwartungen geradezu überhäuft werden und Töchter eher einen Kollateralschaden darstellen.

Weit gefehlt indessen, dass “man” sich auf dieser Basis verstehen und kennenlernen könnte – beide Milieus sind ja geradezu bollestolz auf ihre kleinbürgerliche bis subproletarische Abschottung, und keiner von ihnen muss je in Russland gewesen sein, um den antiwestlichen Aggressor Putin eigentlich ganz toll zu finden – und gleichzeitig das egalitäre Israel ziemlich grässlich.

Doch noch einmal: Mit Nazismus versus Islamismus hat das in den meisten Fällen weniger zu tun als mit einem verschwitzten, aus Minderwertigkeitskomplexen geborenen Kulturalismus, einem selbstzufriedenen Hocken in selbst gebastelter Parallelwelt. Da schwingen die einen eben zu den Songs der Nichtstimme Helene Fischer ihre Wampen auf der heimischen “Hollywoodschaukel” oder in plüschiger Sofaecke, die anderen fahren sich mit hochgefeiltem kleinem Fingernagel ins Ohr und inthonieren bei reichlich Baklava-Kohlenhydrat-Zufuhr ihre aus Café-Lautsprechern krähenden Habibi-ya-Habibi-Gesänge.

Das alles unterminiert nun keineswegs die liberale Demokratie; in seiner kulturübergreifenden Muffigkeit dürfte man allerdings durchaus von einer ästhetischen und intellektuellen Zumutung sprechen. Denn nicht zuletzt jener Gestus klügelnd triumphierender Dämlichkeit nervt gewaltig: Unsre Kultur! “Wir feiern hier Weihnachten seit Jahrtausenden – schon lange vor der Christianisierung!!”, lässt sich da etwa die “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein” vernehmen, während arabische Jogginghosenträger, die bislang nie den Schawarmakokon ihrer Berliner Sonnenallee verlassen haben, von “unseren Baudenkmälern in al-Andalus” herumprotzen. Aber wurde der berückende Alcázar-Palast vis-à-vis der Giralda von Sevilla nicht erst in nachmuslimischer Zeit erbaut, wiewohl inspiriert vom Genie und der Subtilität arabischer Meister?

Und was die im größtenteils atheistischen Sachsen beklagte Stagnation des Christentums betrifft: Anstatt montags auf zugigen Demos, die an altgermanische Thingplätze erinnern, herumzugröhlen, könnte man ja entweder sonntags in die Kirchen strömen oder sich vielleicht einmal in die Lektüre eines François Mauriac, Jacques Maritain oder Jacques Ellul versenken, die als kritische katholische Intellektuelle bereits vor über einem halben Jahrhundert vor dem spirituell blinden Fleck moderner Gesellschaften gewarnt hatten. Ganz zu schweigen von den Büchern von Odo Marquard, Hermann Lübbe, Joachim Fest oder Johannes Gross, aus denen nun tatsächlich jener wachsame bürgerliche Geist spricht, den die empörten Verwandten der Zonen-Gabi lediglich als schäbige Travestie zelebrieren.

Die jetzt am lautesten krakeelen, um unsere angeblich “präislamistische” oder “islamophobe” Gesellschaft zu denunzieren, sind dabei die größten Ignoranten. Denn mit Verlaub: Was weiß schon einer, dessen einziges Idiom Sächsisch ist, vom “Abendland” und dessen lang währender schmerzlicher Transformation aus einem von Glaubenskriegen zerrissenen Territorium in eine (noch immer) blühende Landschaft, in welcher die Trennung zwischen Religion und Staat immer wieder aufs Neue justiert werden muss?

Und was ahnen jungmuslimisch-machistische Schulabbrecher von der Schönheit des Hocharabischen, vom selbstbewussten, an Romeo und Julia erinnernden literarischen Liebespaar Leila und Madschnun, was wissen sie von der Freiheitsexistenz israelischer AraberInnen (hier nämlich macht das stolze große “I” sehr wohl Sinn), die nie und nimmer mit dem Schicksal ihrer syrischen, irakischen oder ägyptischen Mitmuslime tauschen würden?

Freilich wäre es unfair, den Dritten in diesem Spießerbunde zu unterschlagen. Es ist das nicht minder ignorante Justemilieu des urbanen Westens, das zwar gar nicht genug Distanz zur peinlich sächselnden Ostverwandtschaft halten kann, gleichzeitig aber die ebenso unreflektierten Rhetorikausscheidungen so mancher “mit Migrationshintergrund” liebedienerisch mit dem Siegel der “kulturellen Bereicherung” versieht – wohlgemerkt allein zum eigenen Distinktionsgewinn. Vielleicht sollte man ja deshalb jedes Mal, wenn wieder von “Kultur” als Kult des angeblich Eigentlichen die forsche Klippschulrede geht, zur schnellen Gegenwehr seinen Tucholsky entsichern: “Zivilisierte Menschen denken polyfon.”

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Frank Scheer / 21.12.2014

Wow! Klasse Artikel. Mehr davon. Bitte.

Dr. Hans-Peter Rösler / 20.12.2014

Sehr geehrter Herr Martin, ich schätze mich zwar nicht als Kleinbürger ein, wohl aber als kleinlichen Nachfrager. Daher frage ich Sie jetzt, unter Zuhilfenahme von welchen Kriterien Sie Helene Fischer als “Nichtstimme” bezeichnen. Da Sie ja in diesem Artikel Ihre Bildungskriegsflagge dem Feind, also den “Räuchermännchen”, entgegenhalten, packe ich einmal kurz die meinige aus. Nach meinen Maßstäben sind bis auf wenige Ausnahmen alle Sängerinnen und Sänger der internationalen Pop-Branche “Nichtstimmen”, die - bar Ihres elektronischen Apparates - von nahezu jedem ausgebildeten Opernsänger an die Wand geblasen werden und teilweise nicht einmal eine “Bereicherung” für Laienchöre wären. Aber auch die überwiegende Zahl von Musikenthusiasten, deren Räumlichkeiten vor CDs überquellen, konsumieren ihre Musik letzlich genauso wie die Helene-Fischer-Fans, nämlich mit dem Stammhirn oder, wie Cocteau es in der Hitze des Ersten Weltkriegs in bezug auf die Wirkung von Wagners Musik formulierte, “mit dem Kopf unter dem Arm” (bis 1914 war Frankreich ein vom Wagnerfieber geschütteltes Land). Hakt man nämlich bei einigen Ergüssen dieser Musikfreunde nach, steht man einer Nebelwand gegenüber, die die “Musikexperten” allerdings für ihren weiten Horizont halten.   Wer weiß, wenn PEGIDA wieder demonstriert, werden sie vielleicht von Olifantenbläsern unterstützt und ihre Gegner formieren sich zu einer Schameienkapelle, deren Vorbläser das Instrument benutzt, das Erich Honecker einst im Saarland geblasen hatte. Aber nun genug. Schließlich könnten die weltoffenen Bildungsbürger denken, ich wolle sie ridikülisieren. Salut  

Wirsing / 20.12.2014

mann, mann, mann.. da hat aber einer seinen tesaurus strapaziert =). und jetzt dann mal ‘n schuss vorn bug: “literarisches Liebespaar Leila und Madschnun”? also das liebespaar sind Qais und Laila, der titel der geschichte lautet “Madschnūn Lailā”.

Georg Schmidt / 19.12.2014

Ein echter qualitätspresse-Artikel. Ich bin nicht immer so sicher wer hier was schreibt. Habe euch bezahlt. Ob das gut war?

Michael Haimerl / 19.12.2014

Bei dieser plumpen Ad Hominem Kritik könnte man fast glauben der Autor möchte den Leser mit umgekehrter Psychologie für Pegida gewinnen. Die Demonstranten sind also ungebildete fette Dummköpfe mit Minderwertigkeitskomplexen, na dann ist ja alles gesagt, Argumente unnötig! Aber mal ehrlich, ich finde es gut wenn auf der Achse unterschiedliche Meinungen gezeigt werden, aber ich denke das die Pegida Gegner einen besseren Repräsentanten verdient haben als den Autor dieses Artikels, welcher höchstens zum Fremdschämen taugt. Zum Glück gibt es ja die Kommentarfunktion wo man den Mist zerreißen kann.

Maik Limmer / 19.12.2014

Chapeau, Herr Martin. Auf den Punkt! Und das mit einer flotten Feder, die hoffentlich dem ein oder anderen seinen Bierernst und seine Weltuntergangsstimmung etwas durcheinanderrüttelt.

Maria Leuschner / 19.12.2014

Sie können es einfach nicht lassen - durch die Neuaufgüsse wirds auch nicht besser! Ich danke Ihnen für die Reformande in Sachen Demokratie und beichte Ihnen hiermit: gleich vielen Akademikern der Pegidademonstrationen bin auch ich eine solche und ich kenne eine Menge Wissenschaftler mit gleicher Gesinnung, die sich lachend von derlei Schwaflern, wie Sie sich hier im Blog gerieren, abwenden.

rene havekost / 19.12.2014

Ein Orkan der Empörung über die vielen Dummen und Idioten im Lande; bei allem Getöse, doch auf ein gewisses Maß an Differenzierung bedacht, man weiß ja nie, wer da alles mitliest. Hut ab vor dieser rhetorisch geschickten Kanonade. Die Menschen sollten wirklich mehr kluge Bücher lesen, anstatt sich johlend und grölend auf den Strassen herumzutreiben, um einem diffus wabernden Bauchgefuehl Ausdruck zu verleihen; es sei denn: Gewerkschaften, Tierschutzvereine, Antifaclubs,, AKW-Gegner, und allerhand bedrohte Minderheiten nehmen sich das Recht heraus. Aber doch nicht dieses Volk und dann auch noch im Osten, also zurück aufs Sofa und erst einmal Studien über die Entwicklung des Abendlandes betreiben, dann bei Herrn Marko Martin eine Prüfung ablegen, bevor es, wenn überhaupt noch nötig, gut gewappnet auf die Strasse geht. Wer die Wahrheit sagt, wird früher oder später ertappt Oskar Wilde Die Wahrheit ist die groesste Lüge Friedrich Nietzsche Und die Verwirrung ist komplett

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