Gastautor / 04.10.2015 / 06:30 / 1 / Seite ausdrucken

Technophobie: Steinzeit im Gehirn

Von Peter Heller

Wenn man sich nicht kennt, ist häufig ein Scherz über die Umgebung der geeignete Eisbrecher. Trifft man sich an einem Buffet, liegen Essen und Trinken als Themen nahe. Daher glaubte mein Gegenüber, Nähe durch einen abwertenden Spruch über gentechnisch optimierte Nahrungsmittel herstellen zu können. Kurz zuvor hatten indische Forscher Tomaten durch die gezielte Ausschaltung von Enzymen länger haltbar gemacht. So etwas würde er auf keinen Fall essen, gab mein Gesprächspartner kund. Die Frage nach einer Begründung bügelte er mit einem „das ist doch widernatürlich“ ab. Obwohl dies bei den Tomaten nicht der Fall war, ergänzte er sogleich seine Abscheu hinsichtlich des Gentransfers über Artgrenzen hinweg. Die Natur mache so etwas nicht, das könne also nicht gesund sein.

Meine Entgegnung, auf molekularer Ebene bestünde im Aufbau der Erbinformation überhaupt kein Unterschied zwischen den Arten, stieß auf Entrüstung. Endgültig vertrieb ich ihn mit dem Hinweis auf die Evolution, der zufolge auch Tomate und Mensch einen gemeinsamen Vorfahren und damit eine ganze Menge gemeinsamer Gene besitzen.

Der Mann war Ingenieur. Ich traf ihn vor einigen Jahren bei einer Konferenz über Verbundwerkstoffe. Warum selbst bei technisch/wissenschaftlich gebildeten Zeitgenossen diese im Wortsinne irrationale Ablehnung gegenüber der Gentechnik häufig zu finden ist, erschien mir immer rätselhaft. Nun hat der Philosoph und Kognitionsforscher Stefaan Blancke eine Hypothese vorgelegt, die mein Erlebnis wissenschaftlich erklärt.

Es liegt demnach an im Gehirn verankerten Mechanismen, die uns schnelle intuitive Entscheidungen ohne großes Nachdenken ermöglichen. Solche Routinen dienten dem Überleben in einer gefährlichen Wildnis zur Zeit der Menschwerdung. Heute dagegen können diese Instinkte mitunter kontraproduktiv sein. War es in der Steinzeit noch vorteilhaft, vor dem Unbekannten aufgrund möglicher Risiken zurückzuschrecken, verhindert ein solches Verhalten in der Gegenwart allzu oft die Nutzung von Vorteilen und das Ergreifen von Möglichkeiten.

Die Ursache der weit verbreiteten Gentechnikphobie erkennt Blancke im Zusammenspiel der folgenden drei Mechanismen:

• Essentialismus: Menschen glauben, ein Gentransfer über Artgrenzen hinweg müsse auch makroskopische Eigenschaften transportieren, von Körperbau, Geschmack und Geruch bis hin zu Verhalten und Identität. Sie unterscheiden nicht zwischen Phäno- und Genotyp, denn sie denken, die Erbinformation allein enthielte schon die Essenz eines Organismus und mache sein ganzes Wesen aus. Die Gentechnik induziert daher häufig die Horrorvision von Chimären, die nicht nur nicht angestrebt, sondern auch kaum nützlich wären. Blancke zitiert an dieser Stelle eine Umfrage aus den USA, nach der die Hälfte aller Teilnehmer der falschen Überzeugung anhing, mit Fischgenen modifizierte Tomaten würden auch wie Fische schmecken.

• Spiritualität: Menschen neigen dazu, jedem auch noch so zufälligem Phänomen Sinn und Zweck anzudichten. Dies ist eine Ursache für Religionen aller Art, zu denen der Ökologismus als modernisierte Naturreligion gezählt werden sollte. Wenn alle Dinge in der Natur eine durch wen oder was auch immer definierte Aufgabe erfüllen, die sich letztlich günstig auf unsere Lebensumstände auswirkt, dann darf man daran auch nicht rütteln. Gentechnik erscheint in dieser Vorstellung manchen Zeitgenossen als ein gegen die wohlmeinende Natur gerichteter, sich Göttlichkeit anmaßender Versuch, der nur gefährlich sein kann.

• Ekel: Eigentlich schützt Ekel vor dem Verzehr von Nahrung, die wahrscheinlich viele Krankheitskeime enthält. Verdorbene Lebensmittel seien als Beispiel genannt. Aber auch Tiere wie Ratten, die als Krankheitsüberträger in Frage kommen, erfüllen viele Menschen mit Widerwillen. Genetische Manipulationen werden häufig als Verunreinigungen wahrgenommen, die Ekel hervorrufen. Vor allem dann, schreibt Blancke, wenn auch noch DNS von eben jenen als unsauber empfundenen Organismen beteiligt ist.

Diese Bausteine dogmatischer Opposition sind nicht nur bei den Gentechnik-Gegnern zu finden. Man begegnet ihnen in unterschiedlichen Ausprägungen in allen Debatten über moderne Technologien, von der Kerntechnik bis hin zum Fracking. Man begegnet ihnen sogar bei dem aktuellen Versuch des Rufmords an Rudolf Diesels genialer Maschine.

Nach Stefaan Blanckes Untersuchungen darf man den modernen Maschinenstürmern nicht mehr vorwerfen, sie wollten in die Steinzeit zurück. Man kann ihnen vielmehr entgegenhalten, sie seien im Denken noch immer in der Steinzeit verhaftet. Weil sie sich uralten Instinkten unterwerfen, die täuschen können. Einer Propaganda zu verfallen, die emotional gesteuerte kognitive Automatismen anspricht, bedarf keiner besonderen Anstrengung.  Dieser bedauerliche Umstand bedingt ihren Erfolg.

Peter Heller (49) ist promovierter Astrophysiker. Nach Stationen in der Softwarebranche und der Raumfahrtindustrie arbeitet er heute als Strategieberater und analysiert technologische Trends. Er ist er einer der Hauptautoren von Science Skeptical.

 

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Leserpost

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Ignaz Wrobel / 04.10.2015

Naja, ganz so würde ich (Historiker) das nicht so sehen. Das Phänomen der ‘Technikfeindschaft’ ist doch eines, das bereits um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. eine große Rolle hier in Deutschland spielte, und das gewöhnlich unter dem Begriff “Lebensreform” zusammengefasst wird. “Zurück zur Natur!” (und wider allem, was als ‘unnatürlich’ aufgefasst wurde, war schon damals der Schlachtruf. Diese Gegenbewegung gegen Fortschritt, gegen Industrialisierung und Technik, dieses tiefe Misstrauen gegen Wissenschaft, zumal Naturwissenschaft und diese letztliche Negierung des Fortschrittsglauben im Verbund mit dem Wehklagen gegen eine durch die Naturwissenschaft entzauberte Welt, zieht sich vom 19. jahrhundert durch bis in unsere Gegenwart. Die Ablehnung der gentechnik gehört dabei genauso dazu wie die Ablehnung der Atomkraft und das Träumen von irgendeiner Natur, die für Freiheit, Gesundheit und Friedfertigkeit stehen würde - und das dann versucht wird wiederzugefinden in irgendwelchen ‘urbanen Gärten’, in Träumen von einem Landleben, im Abendteuer- und Natururlaub. Ich denke nicht, dass wir hier eine ‘Furcht vor dem Unbekannten’ haben, sondern vielmehr eine zum Kult erhobene Bewältigungsstrategie des modernen Stadtmenschen bzgl. eben der Moderne und ihren zum Teil alltäglichen Anforderungen. Wer hat den Probleme mit Gentechnik? - Doch meist gar nicht irgendwelche menschen aus dem Arbeitermilieu, sondern vielmehr die sog. Mittelschicht und ihre Kinder. Wer wählt den Grün? - Ist das icht vor allem das gehobene Beamtentum in Form von Lehrern, Ärzten, Anwälten usw…  Wer kann es sich den leisten im Biomarkt einzukaufen und sich damit zu brüsten, dass er nur gen-freie Lebensmittel essen würde? Von daher dürfte bei ihrem Erlebnis mit dem ‘Ingenieur’ noch etwas anderes eine Rolle gespielt haben, vielleicht war das sogar die Hauptrolle: Es ging ihm im tieferen Sinne vielleicht gar nicht darum, ob sein Essen genetisch modifiziert ist oder nicht - was er sowieso nicht feststellen kann anhand der Lebensmittel selbst -, sondern vielmehr darum, sich als ‘kritisch Mitdenkender’ und somit Angehöriger des (Bildungs-)Bürgertums zu erweisen und um dann auf dieser Ebene mit ihnen ein ‘Zugehörigkeitsgefühl’ qua im Übereinstimmen derjenigen Ansichten, die typische Merkmale eines sich selbst als kritisch und aufgeklärt verordneten Bürgertums bilden, zu erzeugen.

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