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Militärallianz zwischen USA und Türkei Obamas riskantes Bündnis mit Erdogan

Washington und Ankara verbünden sich gegen den IS. Die USA sollen von türkischen Stützpunkten aus die Dschihadisten angreifen und so an der syrischen Grenze eine "IS-freie Zone" schaffen - ein riskanter Plan.
Staatschefs Erdogan (l.) und Obama: "Die USA und die Türkei stehen Seite an Seite"

Staatschefs Erdogan (l.) und Obama: "Die USA und die Türkei stehen Seite an Seite"

Foto: MANDEL NGAN/ AFP

Ein Telefonat besiegelte den Pakt. Darin sprach US-Präsident Barack Obama seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan zunächst das Beileid "des amerikanischen Volkes" für den Anschlag von Suruc aus. Zugleich habe er Erdogan zugesagt, die "Kooperation" im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu "vertiefen", so das Weiße Haus: "Die USA und die Türkei stehen Seite an Seite."

Eine Floskel mit geopolitischem Sprengstoff: Das Gespräch der beiden Staatschefs am vorigen Mittwoch diente nicht nur dazu, das seit den 2013 blutig niedergeschlagenen Gezi-Protesten frostige Verhältnis zwischen Washington und Ankara aufzutauen. Auch schlugen die USA damit ein neues Kapitel in ihrem festgefahrenen Krieg gegen den IS auf - ein Krieg, der damit noch unübersichtlicher und riskanter wird.

Auf den ersten Blick ist es ein überfälliger Schritt: Endlich beteiligt sich die Türkei, noch ganz im Schock des dem IS zugeschriebenen Suruc-Attentats, an der internationalen Koalition gegen die Terrormiliz - mit Flankenschutz der USA, denen es dazu mindestens zwei seiner Luftwaffenstützpunkte als Basis für Angriffe jenseits der türkisch-syrischen Grenze zur Verfügung stellt. Parallel bat Ankara um ein Nato-Krisentreffen, das an diesem Dienstag in Brüssel stattfinden soll.

Obama läuft Gefahr, sich von Erdogan instrumentalisieren zu lassen

Doch darf nicht übersehen werden, dass die USA und die Türkei damit teils entgegengesetzte Interessen verfolgen. Washingtons Agenda ist klar: Es sucht neuen Schub gegen den IS. Ankara dagegen kämpft an mehreren, sich überschneidenden Fronten: Gegen den IS, gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad und gegen die kurdische PKK, deren Ableger im Norden Syriens wiederum den IS bekämpfen - und die nun als Verlierer aus der komplexen Neukonstellation hervorgeht.

Das Abkommen ist die jüngste Kapriole im turbulenten Verhältnis der USA und der Türkei. Bis März 2015 herrschte sogar sechs Monate lang Funkstille zwischen Obama und Erdogan. Nun wagt der US-Präsident eine Allianz, die kaum erkennen lässt, wer Freund ist und wer Feind.

Trotzdem lancierte das Weiße Haus den über Monate ausgehandelten Plan am Wochenende fast euphorisch an ausgesuchte US-Leitmedien, darunter die "New York Times", die "Washington Post" und das "Wall Street Journal". Es sei ein "game changer", hieß es zuversichtlich.

Kurzfristig verspricht der Pakt in der Tat eine Wende in der bisher frustrierenden Strategie Obamas gegen den IS: Die gemeinsamen Angriffe sollen demnach eine "IS-freie" Pufferzone schaffen - in einem knapp 90 Kilometer langen Streifen südlich der Grenze, der auch als Schutzterritorium für vertriebene syrische Flüchtlinge dienen soll.

"Ziel ist es, eine IS-freie Zone zu errichten und größere Sicherheit und Stabilität an der türkischen Grenze mit Syrien sicherzustellen", beschrieben US-Regierungskreise den Plan. Es geht um den letzten porösen Grenzabschnitt, durch den der IS - von der Türkei geduldet - Kämpfer und Nachschub aufs syrische Territorium schleusen konnte.

Diesen Abschnitt zu versiegeln, wäre tatsächlich ein wichtiger Teilsieg gegen den IS. Die restliche Grenze wird bereits von kurdischen Kämpfern kontrolliert: Fast zwei Drittel der Grenze sei "in der Hand freundlich Gesinnter", sagte Obamas IS-Beauftragter, der General a.D. John Allen, diplomatisch, - freundlich zumindest aus Sicht der USA.

Obama läuft nicht nur Gefahr, sich für Erdogans Kampagne gegen die Kurden instrumentalisieren zu lassen. Zugleich droht den USA, damit mehr als gewünscht als in Syriens Bürgerkrieg verstrickt zu werden.

Wer soll die Pufferzone kontrollieren?

Bemüht betonen Obamas Berater also, dass es sich bei der besagten "IS-freien Zone" keineswegs auch um eine "Flugverbotszone" für das syrische Militär handele. Zumal eine solche die Zustimmung des Uno-Sicherheitsrats bräuchte und dort wohl am Veto Russlands und Chinas scheitern dürfte. Die Türkei und die syrische Opposition dagegen loben das jetzige Bündnis als genau das - eine verklausulierte "No-Fly-Zone".

Die Gemengelage im Nahen Osten wird für die USA somit nur noch wirrer und widersprüchlicher - und könnte sich langfristig als strategische Falle entpuppen. Nicht zuletzt auch, weil die besagte Pufferzone von moderaten syrischen Rebellen kontrolliert werden soll.

Denn welche Rebellen damit genau gemeint sind, auch das blieb vorerst offen. Viele, das ist dem Weißen Haus klar, sind eher an einem Sieg über Assad interessiert als über den IS, dem sie ideologisch näher stehen.