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Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Unser Freund, der Kopf-ab-Saudi

Saudi-Arabien hat in diesem Jahr mehr Menschen enthauptet als der "Islamische Staat". Ohne den Islam der Saudis würde es den Islam des IS nicht geben. Wann ziehen wir daraus die Konsequenzen?

Wenige Tage nach den Anschlägen von Paris gab der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn im Deutschlandfunk ein Interview, in dem er die europäischen Staaten dazu aufrief, im "Kampf gegen die Barbaren" zusammenzustehen. Zu den Maßnahmen, die Asselborn in dem Gespräch erörterte, gehörte der Vorschlag, den "Islamischen Staat"(IS) von seinen Geldquellen abzuschneiden.

"Es gibt Länder, die diesen IS direkt oder indirekt bis jetzt unterstützt haben", sagte der Minister auf die Frage, was man tun solle. "Das müsste ja das allererste sein, da braucht man keinen Beschluss des Uno-Sicherheitsrates, keine großen Erklärungen."

An dieser Stelle nahm das Gespräch eine Wendung ins Bizarre. Als der Interviewer nachhakte, wen Asselborn meine, kam es zu folgendem Dialog:

Frage: "Können Sie die uns noch mal kurz nennen, die Länder, die den IS unterstützen?"

Antwort: "Ich kenne die nicht, aber es gibt Länder, die liefern Waffen und die liefern auch Finanzmittel an den IS. Krieg führt man mit einer Ideologie, aber Krieg führt man auch mit Waffen und mit Geld. Und wenn keine Waffen und kein Geld da wären, könnte dieser Krieg der Barbarei nicht geführt werden."

Zusammengefasst: Wir müssen in Europa entschlossen gegen unsere Feinde antreten. Leider können wir nicht sagen, wie sie heißen. Oder wissen wir es doch, und trauen uns nur nicht, sie beim Namen zu nennen?

Kein erfolgreiches Franchise ohne Vorbild

Der IS verstört die Welt mit seinen Gewaltdemonstrationen. Aber im Terrorismus ist es so wie im richtigen Leben: kein erfolgreiches Franchise ohne Vorbild. Alles, was der IS seinen Jüngern bietet - Kopf abschlagen, Steinigung, Auspeitschung - hat er sich um die Ecke in Saudi-Arabien abgeschaut.

Strafenkatalog des "Islamischen Staates" (IS) und Saudi-Arabiens

Strafenkatalog des "Islamischen Staates" (IS) und Saudi-Arabiens

Foto: SPIEGEL ONLINE

Was den Terror gegen Frauen, Homosexuelle oder Andersdenkende angeht, sind die Saudis die Großmeister der Arabischen Halbinsel. In diesem Jahr haben sie schon mehr Menschen geköpft als der IS. Sogar Teenager werden hier hingerichtet. Enthauptung und anschließende Kreuzigung lautet das Urteil gegen Ali Mohammed Baqir al-Nimr, weil er es als 17-Jähriger gewagt hatte, gegen das Königshaus zu demonstrieren.

Ob der Junge noch am Leben ist oder schon ans Kreuz geschlagen, kann man nicht mit Gewissheit sagen: Anders als die Glaubensbrüder mit dem Toyota-Pick-up verzichten sie in Riad darauf, ihre Taten per Video auszustellen. Besser angezogen ist man auch, aber das ist schon einer der wenigen Unterschiede. Der andere ist: Der IS gilt als Monster, gegen das wir Krieg führen. Der Saudi sitzt mit am Tisch, wenn die freie Welt darüber berät, wie man das Monster besiegt.

Die Brookings Institution hat neulich die Fans gezählt, die über Twitter den IS anfeuern. Außerhalb des IS-Gebiets sitzen mit großem Abstand die meisten Anhänger in Saudi-Arabien. Man mag darüber streiten, inwieweit die Saudi-Araber den IS auch mit Geld unterstützt haben. Unbestritten ist, dass sie der größte ideologische Sponsor der schwarzgewandeten Kopf-ab-Verwandschaft sind. Der gewaltsame Dschihad ist fester Bestandteil des Wahhabismus, jener Religion, die um ein imaginiertes Kalifat kreist, in dem alles wieder so sein soll wie vor 1400 Jahren. Ohne den Islam Saudi-Arabiens wäre der Islam des IS nicht denkbar.

Es gibt kluge und dumme Realpolitik

Es ist jetzt viel von der Verteidigung unserer Werte die Rede. Vielleicht sollte man damit anfangen, nicht länger mit Leuten zu poussieren, die einen Apartheidstaat am Laufen halten, gegen den Südafrika selbst zu seinen schlimmsten Zeiten eine Vorzeigerepublik war. Apartheidregime haben es oft an sich, dass sie über Dinge verfügen, die andere gerne besitzen würden. In Südafrika waren das Gold und Diamanten, mit denen sich die Machthaber Nachsicht erkauften. In Saudi-Arabien sind es Öl und Stationierungsrechte für amerikanische Kampfflugzeuge.

Es gibt kluge und es gibt dumme Realpolitik. Kluge Realpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Diplomatie nicht dort enden lässt, wo der ideologische Graben beginnt. Man kann in der Hinsicht viel von Helmut Schmidt lernen, der gestern mit einem Staatsakt verabschiedet wurde. Die schlechte Realpolitik fängt da an, wo man den Graben leugnet oder sich dumm stellt, was die finsteren Seiten der Leute angeht, mit denen man es zu tun hat. Auch dafür ist Schmidt ein Beispiel, leider.

"Der IS hat eine Mutter: die Invasion des Irak", schrieb der algerische Autor Kamel Daoud in einem bemerkenswerten Beitrag für die "New York Times". "Aber er hat auch einen Vater: Saudi-Arabien samt seines religiös-industriellen Komplexes. Solange dies nicht verstanden wird, mögen Schlachten gewonnen werden, aber der Krieg wird verloren gehen."

Zwei Tage nach den Anschlägen von Paris tagten die Mitglieder der G20-Runde im türkischen Belek, um sich über den Krieg gegen den Terror zu verständigen. Auf den Fotos sieht man den saudischen König Salman Bin Abdulaziz Al Saud leutselig lächelnd in der Mitte stehen. Was die öffentliche Anerkennung angeht, ist es für Saudi-Arabien in den letzten Monaten nicht schlecht gelaufen, muss man sagen.

Auch im Uno-Menschenrechtsrat ist das Land seit neuestem prominent vertreten. Mitte September wurde der saudi-arabische Uno-Botschafter Faisal Bin Hassan Trad auf eine Schlüsselposition gewählt. Trad sitzt jetzt dem Gremium vor, das die Sonderberichterstatter auswählt, die über den weltweiten Stand der Menschenrechte informieren. Der Menschenfresser als Menschenschützer: Kann man mehr verlangen?

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