Samstag, 27. April 2024

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Kommentar zur Ampel-Koalition
Die FDP als Korrektiv

Durch den permanenten Streit sei die Ampel-Koalition nur noch bedingt handlungsfähig, kommentiert Peter Stefan Herbst. Gerne werde die FDP dafür verantwortlich gemacht, dabei sei sie ein wichtiges Korrektiv für Grüne und SPD.

Ein Kommentar von Peter Stefan Herbst, Chefredakteur der "Saarbrücker Zeitung" | 11.03.2023
Bundesfinanzminister Christian Lindner FDP im Portrait bei der Pressekonferenz nach der Klausurtagung des Bundeskabinetts vor blauen Hintergrund.
Christian Lindner und seine FDP werden immer wieder für Streit und Stillstand verantwortlich gemacht. Völlig unbegründet sei das nicht, kommentiert Peter Stefan Herbst. (imago / Political-Moments)
Der Streit gehört zur Demokratie. Das Ringen um bestmögliche Lösungen ist ein wichtiger Bestandteil. Die Bundesregierung ist aber aktuell auf vielen Politikfeldern in Zerstrittenheit erstarrt. Zentrale Akteure haben gemeinsame Ziele und mögliche Lösungen offenkundig aus den Augen verloren. Die Ampel-Koalition ist damit nur noch bedingt handlungsfähig.
Darüber konnten auch zu Wochenbeginn die netten Worte und das Eigenlob des Kanzlers zum Abschluss der Kabinettsklausur in Meseberg nicht hinwegtäuschen. Drängende Fragen blieben unbeantwortet und zu wichtigen Streitthemen wie der Kindergrundsicherung, Öl- und Gasheizungen, Verbrennermotoren oder Autobahnen gab es trotz der inszenierten Harmonie keine erkennbaren Annäherungen.

Hoher Einigungs- und Erfolgsdruck

Schöne Bilder vorm Barockschloss im Schnee, unschöne Konflikte vertagt. Worauf Olaf Scholz jetzt seinen Optimismus für „mehr Tempo und Zuversicht“ gründet,  bleibt sein Geheimnis. Laut Berechnungen der Süddeutschen Zeitung sind derzeit rund 30 Gesetzesvorhaben blockiert, weil jeweils mindestens einer der drei Koalitionspartner dagegen ist.
Nach der Kabinettsklausur ist vor dem Koalitionsausschuss. Mit Blick auf diesen Termin Ende des Monats lastet auf den Koalitionären jetzt ein hoher Einigungs- und Erfolgsdruck. Noch ein Treffen der Koalitionsspitzen ohne greifbare Ergebnisse zu wichtigen Themen wäre in der aktuellen Situation ein politischer Offenbarungseid.

Alle Steuerzahler sollten Lindner danken

Gerne werden Christian Lindner und seine FDP für Streit und Stillstand verantwortlich gemacht. Völlig unbegründet ist das nicht. Nach bitteren Niederlagen bei Landtagswahlen und seit Eintritt in die Bundesregierung nahezu halbierten Umfragewerten setzen die Liberalen auf plakativere Profilierung und heizen vorhandene Konflikte wie bei Atomkraft, Verbrenner oder Öl- und Gasanlagen immer wieder an und erschweren so die Verständigung.
Und jetzt zieht der Bundesfinanzminister auch noch die Notbremse, obwohl er die Eckpunkte des Bundeshaushalts für das kommende Jahr vorlegen wollte. Der hierzu geplante Kabinettstermin ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Auch wenn dies von SPD und Grünen gleich bagatellisiert wird, kann so im Extremfall die Arbeit der Bundesregierung lahmlegt werden. Denn dauert der Ampel-Streit über die Einzeletats länger, fehlt die finanzielle Basis für Gesetzesvorhaben.
Doch für diese Eskalation sollten alle Steuerzahler Lindner danken. Ist es doch nicht nur ein klares Zeichen gegen Steuererhöhungen, sondern auch eines gegen weitere Belastungen für kommende Generationen, die in der Folge unvermeidbar wären. Der Warnschuss ist berechtigt, eine Besinnung auf das Wesentliche erforderlich.
Liegen doch die zusätzlichen Forderungen aus anderen Bundesministerien bei rund 70 Milliarden Euro. Wünsche und Pläne auf der einen und Wirklichkeit und Finanzierbarkeit auf der anderen Seite klaffen weit auseinander. Für seine Schulden muss der Staat seit Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine auch deutlich höhere Zinsen zahlen. Die Zeit der günstigen Kredite ist nicht nur Häuslebauer vorbei.

Wer nicht über Geld streitet, hört auf, Politik zu machen

Lindner und die FDP sind ein wichtiges Korrektiv für Grüne und SPD, die allzu oft nur die gute Sache im Blick haben und dabei übersehen, dass deren Finanzierung auch eine schwere Belastung sein kann und Handlungsoptionen in der Zukunft begrenzt.
Auch Robert Habeck, der sich in einer Dauerfehde mit Linder befindet, wird deutliche Zugeständnisse machen müssen. Nicht nur bei der Gasumlage standen er und sein Ministerium wegen schwerer handwerklicher Fehler und Geldverschwendung in der Kritik. Der grüne Vizekanzler scheint sich und sein Haus und mit der Vielzahl seiner Verbots- und Förderprogramme zu überfordern. Trotz starker Rhetorik kommt er immer häufiger in Erklärungsnot – wie zuletzt beim Aus für Öl- und Gasheizungen in Privathaushalten.
Verbale Abrüstung, Konzentration auf das Wesentliche und die Bereitschaft zur Verständigung sind deshalb das Gebot der Stunde. Wer nicht über Geld streitet, hört auf, Politik zu machen. Wer aber in einer Koalition aus dem Streit heraus keine sinnvollen und tragfähigen Kompromisse entwickelt, verliert die Regierungsfähigkeit.