Georgien stimmt gegen NGO-Gesetzentwurf: Sieg der Zivilgesellschaft

Nach massiven Protesten hat Georgiens Regierung den umstrittenen Gesetzentwurf zurückgezogen. Russland spricht von „ausländischer Orchestrierung“.

Demonstrierende schwenken die georgische und die EU-Flagge

Klares Zeichen für die Europa: 80 Prozent aller Georgier sind für einen EU-Beitritt ihres Landes Foto: Zurab Tsertsvadze/ap

TBILISSI taz | Nach der kürzesten Parlamentssitzung in der Geschichte Georgiens feiert die georgische Zivilgesellschaft ihren Sieg. Am 10. März stimmte das Parlament der südkaukasischen Republik gegen den umstrittenen Gesetzentwurf, der alle Nichtregierungsorganisationen und Medien zu “ausländischen Agenten“ erklärte, die mehr als 20 Prozent ihres Geldes aus dem Ausland erhalten.

Die Sitzung dauerte nur vier Minuten. Die Abgeordneten der Regierungspartei enthielten sich der Stimme, die Opposition stimmte dagegen. Die Menschen, die sich vor dem Parlament versammelt hatten, begrüßten die Entscheidung mit tosendem Applaus. „Ich gratuliere allen! Unsere Abgeordneten haben am Ende doch noch den richtigen Knopf gedrückt“, sagte Nino Danelia, eine der Protestierenden.

Nach der Sitzung hängten die Abgeordneten der Oppositionsparteien die Flaggen Georgiens und der Europäischen Union im Plenarsaal auf. “Das ist die einzige richtige Entscheidung. Die Zukunft Georgiens liegt in Europa und nirgends sonst“, schrieb der ehemalige Parlamentarier und Ombudsmann Georgiens, Levan Ioseliani, auf seiner Facebook-Seite.

Gefahr für georgischen EU-Kurs

Der Massenprotest wurde auch dadurch ausgelöst, dass die Gegner das Gesetz als eine Gefahr für den Europa-Kurs Georgiens betrachteten. Rund 80 Prozent aller Georgier befürworten einen EU-Beitritt ihres Landes. Und noch in diesem Jahr wird die Europäische Kommission bekannt geben, ob das Land den Kandidatenstatus erhält.

Viele befürchteten, dass Georgien stattdessen den gleichen Weg einschlage wie Putins Russland, das mit einem ganz ähnlichen Gesetz alle kritischen Stimmen im Land zum Schweigen gebracht hatte.

Gleich nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfes am 7. März waren zehntausende Menschen in der georgischen Hauptstadt Tbilissi auf die Straße gegangen. Schnell kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Spezialeinheiten setzten Pfefferspray und Wasserwerfer ein, um die Menschen auseinander zu treiben. Die Protestierenden reagierten mit Molotowcocktails und Steinen.

133 Festnahmen in zwei Tagen

In nur zwei Protesttagen gab es 133 Festnahmen. Dutzende Menschen wurden verletzt. Amnesty International erklärte, dass “in den meisten Fällen unverhältnismäßig starke Gewalt gegen Demonstrierende angewandt wurde“.

Am Morgen des 9. März erklärte ein Vertreter der Regierungspartei Georgischer Traum, dass die Partei den Gesetzentwurf zurückziehen werde. Ein Datum dafür wurde jedoch nicht genannt. Darum versammelten sich am Abend erneut Menschen vor dem Parlament. “Wir gehen so lange auf die Straße, bis dieses russische Gesetz aufgehoben wird“, sagte der 21-jährige Georges Schamelaschwili, einer der Demo-Organisatoren.

Der Druck zeigte Wirkung. Einige Stunden später kündigte der Georgische Traum an, eine außerordentliche Sitzung einzuberufen. Am gleichen Abend versprach der georgische Innenminister, dass alle Festgenommenen wieder freigelassen würden.

Russland warnt vor Reisen nach Georgien

Mit Blick auf die Ereignisse in Georgien hat die russische Regierung ihren Bürgern von Reisen nach Georgien abgeraten. Und das, obwohl nach Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine mindestens 120.000 Russen nach Georgien geflohen waren.

„Wenn Sie sich schon im Land aufhalten, empfehlen wir, Menschenansammlungen zu meiden, vor allem in den historischen Zentren der Städte Batumi und Tbilissi“, hieß es in einer Erklärung des Ministeriums für Wirtschaftliche Entwicklung Russlands.

Und der russische Außenminister, Sergej Lawrow, sagte, dass die Ereignisse in Georgien “aus dem Ausland orchestriert“ seien. “Sie ähneln sehr dem Maidan in Kyjiw“, so Lawrow.

Die Proteste in der ukrainischen Hauptstadt, die später unter dem Begriff “Euro-Maidan“ bekannt wurden, hatten im November 2013 begonnen, nachdem der damalige pro-russische Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, es abgelehnt hatte, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, um stattdessen der vom Kreml gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion, einem Zusammenschluss sowjetischer Nachfolgestaaten, beizutreten.

Heute ist die Ukraine EU-Beitrittskandidat. Die georgische Zivilgesellschaft kann nur hoffen, dass sie sich bald der Ukraine anschließen kann.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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ist 31 Jahre alt und arbeitet als freier Journalist in Tiflis. Unter anderem ist er für den georgischen Dienst von Radio Freies Europa tätig. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechte und digitale Sicherheit. Er hat einen Masterabschluss in Journalistik und Kommunikation. Er war Teilnehmer eines Workshops der taz Panter Stiftung.

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