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Zweiter Weltkrieg Auschwitz-Befreiung

Fünf Gründe sprechen gegen Putins spezielle Weltkrieg-Deutung

Russlands Präsident will Geschichtsklitterern „das Maul stopfen“. Dabei ist er es, der mit dem Verweis auf „unsere Helden“ die Rolle Stalins im Zweiten Weltkrieg im großen Stil verschleiert. Und doch hat Putin in einem Punkt recht.
Leitender Redakteur Geschichte
Putin will Dokumente zum Zweiten Weltkrieg zugänglich machen

Russland will seine Archivdokumente zum Zweiten Weltkrieg öffentlich zugänglich machen. Ein Zentrum sowie eine Internetseite sollen künftig gegen Versuche von Geschichtsfälschung wirken, so Kremlchef Wladimir Putin.

Quelle: WELT / Sebastian Struwe

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Kein Zweifel: Es waren sowjetische Soldaten, genau genommen Spähtrupps des 106. Korps der I. Ukrainischen Front, die am 27. Januar 1945 gegen 15 Uhr ungefähr gleichzeitig in Ostoberschlesien das Stammlager Auschwitz und das weit größere Vernichtungslager Birkenau erreichten. Bei letzten Kämpfen dort und in der Umgebung starben noch 231 Rotarmisten.

Trotz dieser Fakten gibt es zum 75. Jahrestag der Befreiung diplomatische und politische Misshelligkeiten. Polens Präsident Andrzej Duda kommt am Donnerstag nicht zum Staatsakt in Israel, wo der mit Abstand größten Opfergruppe dieser Hölle auf Erden gedacht wird: der Juden aus ganz Europa, die von Hitler-Deutschland hierher ins besetzte Polen deportiert wurden, um ermordet zu werden. Und Russlands Präsident Wladimir Putin kommt am Montag nicht zum Gedenkakt nach Auschwitz selbst.

Die Ursache für diese doppelte Verweigerung ist geschichtspolitisch. Es geht um Schuld und um Mitwirkung oder Unterstützung an den Massenmorden Nazideutschlands. Und um Stalins giftiges Erbe.

Vor wenigen Tagen erst verkündete Putin, der im KGB sozialisierte Kreml-Chef, laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass, einige „Funktionäre im Ausland“ könnten ihr „Schandmaul“ nicht halten. Sie zögen die Rolle der Sowjetunion bei der „Befreiung vom Hitlerfaschismus“ in den Dreck: „Wir werden jenen das Maul stopfen, die versuchen, die Geschichte umzuschreiben … die Rolle unserer Väter und Großväter zu schmälern, unserer Helden, die starben, um ihre Heimat und praktisch die ganze Welt vor der braunen Pest zu schützen.“

Die Opfer

Unzweifelhaft brachten die Menschen in der Sowjetunion nach absoluten Zahlen die größten Opfer im Zweiten Weltkrieg – zwischen 20 und 27 Millionen Tote in der UdSSR werden geschätzt, Soldaten und Zivilisten zusammengenommen. Relativ zur Bevölkerung waren aber die Verluste in Polen noch höher; sie liegen nämlich mit 5,5 bis sechs Millionen Opfern insgesamt bei etwa 16 bis 17,5 Prozent der Vorkriegsbevölkerung, während der entsprechende Wert für die UdSSR zehn bis 14 Prozent beträgt. Zum Vergleich: Ungarn verlor rund zehn Prozent seiner Bevölkerung 1939, Deutschland (hier in den Grenzen von 1939) selbst etwas mehr als neun Prozent.

Aber eigentlich geht es bei dem Streit nicht um die konkreten Opferzahlen. Es geht um Stalin und seine Politik. Denn der Machthaber in Moskau ließ nicht nur Millionen Ukrainer, Kasachen und andere Sowjetbürger in den Tod treiben – durch vorsätzlich herbeigeführte Hungerkatastrophen Anfang der 30er-Jahre, um die Kollektivierung der Landwirtschaft zu erzwingen.

Der Große Terror

Stalin entfesselte auch mit dem Großen Terror 1936 bis 1938 in Russland selbst eine geradezu apokalyptische Säuberung, die jeden treffen konnte, der denunziert wurde. Mindestens eine Dreiviertelmillion Sowjetbürger erschossen Mordtrupps des sowjetischen Geheimdienstes NKWD auf direkten Befehl aus dem Kreml.

Die Gewaltorgie richtete sich auch gegen die Rote Armee: 1937/38 wurden drei von fünf Marschällen, 13 von 15 Armeekommandeuren, 57 von 85 Korpskommandeuren und 110 von 195 Divisionskommandeuren abgesetzt und umgebracht. Auch das mittlere Offizierskorps wurde dezimiert. Die Nachfolger der Ermordeten verdankten ihren Aufstieg nicht ihren Fähigkeiten, sondern dem Bekenntnis absoluter Treue zu Stalin. Die hohen Verluste der Roten Armee gegen die deutsche Wehrmacht erklären sich nicht zuletzt durch den Aderlass an erfahrenen Truppenführern.

Der Pakt mit Hitler

Als die Aufteilung Polens besiegelt wurde

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag machte dem NS-Regime den Weg frei zum Überfall auf Polen - und zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs. Wie sein Widerpart Stalin setzte Hitler alles auf eine Karte.

Quelle: WELT

Aber nicht nur gegen die eigenen Untertanen wütete Stalin. Er war gleichzeitig ein hoch aggressiver Imperialist, der im Anschluss an den Großen Terror die Nachbarstaaten attackierte. Der sowjetisch-japanische Grenzkonflikt in der Mandschurei 1938/39 war noch weitgehend eine Folge japanischer Expansionsbestrebungen gewesen. Doch mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt vom 23. August 1939 wurde Stalin zum aktiven Akteur und Kriegstreiber.

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Dieses deutsch-sowjetische Nichtangriffsabkommen, besser bekannt als Hitler-Stalin-Pakt, obwohl es weder die Unterschrift des deutschen noch die des sowjetischen Diktators trug (und ebenso wenig das Geheime Zusatzprotokoll), war zwar nicht die Ursache für den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Aber es erleichterte dem Dritten Reich seine Eroberungsfeldzüge erst gegen Polen (in das die Rote Armee am 17. September 1939 ebenfalls einmarschierte), dann gegen Norwegen und Dänemark, schließlich gegen Frankreich und die Beneluxstaaten sowie gegen Griechenland und Jugoslawien.

Stalins Imperialismus

Als die Rote Armee in Ostpolen einmarschierte

Am 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Knapp drei Wochen später besetzte die Rote Armee den Osten des Landes. Hitler und Stalin hatten Polen zuvor unter sich aufgeteilt.

Quelle: WELT

Zugespitzt und mit Putins Worten, freilich in abgewandelter, sachlich richtiger Form: Ohne Stalins Unterstützung hätte die „braune Pest“ des nationalsozialistischen Deutschlands wohl nicht halb Europa unterwerfen können.

Der „Lohn“ für Stalins Stillhalten: der östliche Teil Polens, Gebiete im Süden und Osten Finnlands und die drei baltischen Republiken. All das wurde der Sowjetunion eingefügt. Sein Ziel war offenbar, das frühere Zarenreich wiederherzustellen – ein eindeutig imperialistischer Ansatz.

Katyn und andere Verbrechen

In kleinerem Maßstab ließ Stalin auch gegen die polnische Elite den Großen Terror wiederaufleben: Im Frühjahr 1940 ermordete der NKWD im Wald von Katyn bei Smolensk und an mindestens vier weiteren Mordstätten (Mednodje bei Twer, Pjatychatky bei Charkow, Kuropaty bei Minsk und Bykownja bei Kiew) insgesamt mindestens 22.000, vielleicht auch bis zu 25.000 Mitglieder der polnischen Elite – Offiziere, Intellektuelle, Regierungsbeamte, Großgrundbesitzer, Ärzte und Priester.

Der Grund für diese Mordaktionen, die denen der SS-Einsatzgruppen in Polen 1939/40 sehr ähnlich waren: Potenzielle Anführer einer antisowjetischen Widerstandsbewegung in den besetzten polnischen Gebieten sollten vorsorglich ausgelöscht werden.

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In den nun sowjetisch besetzten Gebieten Ostmittel- und Osteuropas hauste der NKWD ebenfalls fürchterlich. 100.000 bis 130.000 Litauer, Letten und Balten wurden verhaftet, in entlegene Gebiete der Sowjetunion in Gulags deportiert oder gleich ermordet. Rund zwei Prozent der Bevölkerung – und abermals vor allem jene, die nach kommunistischer Ansicht bürgerliche Eliten, also potenzielle Unruhestifter darstellten.

Das sind nur die wesentlichen Verbrechen Stalins bis 1941. So richtig es ist, dass die Rote Armee 1941 bis 1943 die Hauptlast der Kämpfe gegen das Dritte Reich zu tragen hatte, so wenig ändert das am kriminellen Charakter des Stalinismus. Es folgten machiavellistische Entscheidungen wie die Passivität der Roten Armee während des Warschauer Aufstands 1944, die am östlichen Weichselufer verharrte, bis die SS die polnische Heimatarmee niedergerungen hatte. Auch in anderen Staaten Ost- und Ostmitteleuropas folgte der sowjetische Vormarsch Ende des Zweiten Weltkriegs dem Ziel, alle potenziellen Gegner einer kommunistischen Machtübernahme mit aller Gewalt auszuschalten.

Polnischer Antisemitismus

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In einem Punkt hat Putin zumindest dem Prinzip nach recht: Auch katholische Polen wirkten während und nach dem Zweiten Weltkrieg an antisemitischen Übergriffen mit, allerdings in wesentlich kleinerem Maßstab. Stichwörter dafür sind das Massaker von Jedwabne am 10. Juli 1941 mit mehr als 300 getöteten polnischen Juden oder das Pogrom von Kielce am 4. Juli 1946, dem rund 40 jüdische Holocaust-Überlebende zum Opfer fielen. Diese Vorgänge sind der Hintergrund für den immer wieder aufflammenden Streit zwischen den Regierungen in Warschau und Jerusalem, der zumindest indirekt zum Fernbleiben von Präsident Andrzej Duda vom Gedenkakt in Israel geführt hat.

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