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Kolumne Nach H&M kommt VW oder Daimler dran

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Innerhalb weniger Wochen ist China zu einem großen Risiko für deutsche Konzerne geworden. Der Zorn der Staatsführung kann jeden treffen. Jederzeit

Chinesische Teenager suchen H&M seit Ende letzter Woche vergebens im Internet. Auf Befehl der chinesischen Staatsführung löschte die Suchmaschine Baidu über Nacht sämtliche Hinweise auf die Läden und Online-Angebote der Modekette. Der Propagandaapparat schickte gleichzeitig den kommunistischen Jugendverband des Landes vor, um einen Boykottaufruf gegen den schwedischen Konzern zu verbreiten. Präsident Xi Jinping bestraft H&M für die Entscheidung vor acht Monaten, keine Baumwolle mehr aus der Provinz Xinjiang zu beziehen, solange dort Zwangsarbeiter zum Einsatz kommen. Und weil es im Fall H&M um maximale Abschreckung gegen alle westlichen Konzerne geht, rasselten die gelenkten Agitatoren in den sozialen Medien des Landes mit ihren Säbeln auch noch gegen Adidas, Nike und andere Modemarken. Die Aktie des deutschen Konzerns fiel am Donnerstag nach dieser Nachricht um sechs Prozent.

Und der Druck funktioniert offenbar: Auf der chinesischen Online-Plattform Weibo fand sich schon am Freitag die Mitteilung von Hugo Boss, der deutsche Hersteller kaufe selbstverständlich auch weiterhin Baumwolle aus Xinjiang, der schließlich zu den besten Sorten der Welt gehöre. Von wem diese Initiative ausging, weiß man nicht. Es dürfte aber auf jeden Fall nicht das letzte Beispiel für den vorauseilenden Gehorsam westlicher Konzerne bleiben.

Das Beispiel H&M kann sich wiederholen

H&M und die anderen Konzerne sind ein Opfer der Politik. Xi schlägt in diesen Wochen wild um sich gegen jeden, der sich nicht mehr an die vorgeschriebenen Sprachregelungen hält und Kritik äußert. China reagiert mit übersteigerter Härte auf die eher moderaten Sanktionen Europas und der USA. Der Zorn trifft Abgeordnete des EU-Parlaments, deutsche Sinologen und sogar britische Rechtsanwälte – und eben auch Unternehmen. Die Konzerne sind aus Sicht Xi Jinpings der wichtigste Hebel, um die Europäer und vor allem die Deutschen als wichtigste Führungsmacht in der Region zum politischen Einlenken zu zwingen. Und von einer gemeinsamen China-Politik mit der neuen Administration in Washington abzuhalten.

Nach H&M und Adidas können deshalb jederzeit auch VW oder Daimler ins Visier geraten, für die China zum wichtigsten Absatzmarkt überhaupt geworden ist. Den Stuttgarter Autohersteller traf vor drei Jahren schon einmal aus einem nichtigen Anlass der Bannstrahl aus Peking. Ein Zitat des verhassten Dalai Lama in der Werbung reichte aus. Erst nach einer überaus peinlichen Entschuldigung durfte Daimler damals seine Autos weiter nach China exportieren. Besonders gefährdet ist jetzt der VW-Konzern, der als einziger deutscher Autohersteller ein Zweigwerk in der Provinz Xinjiang betreibt, wo die brutale Unterdrückung der Uiguren für immer mehr Proteste in der ganzen Welt sorgt. Jede noch so kleine Bemerkung, die Peking als Kritik an den Zuständen dort empfindet, kann jederzeit eine Lawine auslösen. Von „Partnerschaft“ reden die chinesischen Machthaber nur, solange es ihnen in den Kram passt. Darauf verlassen kann sich die Wirtschaft nicht.

Die deutschen Konzerne sollten ihre nächsten Geschäftsberichte um einen speziellen Risikoteil zur Volksrepublik China ergänzen. Die Vorstände müssen ihre Absatzstrategien und Lieferketten im Licht der jüngsten Ereignisse neu bewerten. Das ist die mindeste Folgerung, die man aus dem Fall H&M ziehen muss. Nicht spricht dafür, dass in absehbarer Zeit wieder politischer Friede zwischen China und Europa einzieht. Im Gegenteil: Jede Verhärtung zwischen den USA und China trifft auch Europa, ob man es will oder nicht. Auch das zeigt ja der Fall H&M: Die Vereinigten Staaten verbieten den Import von Kleidung, die mit Baumwolle aus Xinjiang hergestellt worden ist. Und China will die Textilindustrie in aller Welt deshalb umgekehrt dazu zwingen, gerade diese Baumwolle zu verarbeiten. Und das ist nicht die einzige Falle, aus der es für westliche Konzerne mit globalem Geschäft so gut wie kein Entrinnen gibt.

Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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