Weltklimarat: 8 Handlungsoptionen, mit denen wir das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen können

Wir können die Klimakrise gerade noch abbremsen, wenn wir anders finanzieren, wirtschaften und produzieren, anders bauen und heizen, uns anders ernähren und fortbewegen. Wie das geht, zeigt der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC zum Klimaschutz.

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Die Agri-Photovoltaik-Anlage überdeckt weitflächig eine Apfelbaumplantage: Regen und Sonnenlicht kommt durch, die Bäume sind vor Hagel und Starkregen geschützt.

Am 20. März stellt der Weltklimarat (IPCC) den abschließenden Synthesebericht zum Sechsten Sachstandbericht vor. Fast 800 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dazu in den letzten Jahren den aktuellen Stand der Forschung ausgewertet und ihn in drei Berichten veröffentlicht: in einem Bericht zum Stand der Klimakrise (Arbeitsgruppe I), einem dazu, was die Erderwärmung anrichtet und wie wir uns anpassen können (Arbeitsgruppe II) und einem, der sich damit befasst, welche Klimaschutz-Maßnahmen wir jetzt ergreifen müssen (Arbeitsgruppe III), um die drohende Klimakatastrophe einzudämmen. In einer dreiteiligen Serie stellen wir die Ergebnisse kurz vor. Wir berichteten bereits über die Ergebnisse der Arbeitsgruppe II, Hier die Ergebnisse der Arbeitsgruppe III des Weltklimarats:

1. Klimapolitik muss entschlossener und sozialer werden

Die Politik muss klare Signale mit gesetzlichen Regeln und ökonomischen Instrumenten setzen: Sie kann für fossile Energien Subventionen abbauen und Steuern erhöhen und gleichzeitig Emissionsminderungen mit Subventionen, Steuererleichterungen und Handelssystemen vorantreiben. Sie kann Divestment-Strategien verfolgen und staatliche Beschaffungsprogramme anpassen.

Erfolgreich ist Klimapolitik dann, wenn sie auf soziotechnische Wechselwirkungen achtet, das Lokale stärkt und dabei das große Ganze in den Blick nimmt. Politik und Wirtschaft müssten stärker über mehrere Bereiche hinweg denken und systemisch handeln („cross-sector“), sagt der Weltklimarat. Erfolgreiche regionale und lokale Projekte und Experimente sollen schneller und stärker auch auf nationaler Ebene umgesetzt werden.

Der Weltklimarat betont ausdrücklich, dass ein sozial gerechter Klimaschutz der Schlüssel zum Erfolg ist – mit einer aktiven Einbeziehung und finanziellen Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen: Dazu zählen Jugendliche, Frauen, indigene Völker, lokale Gemeinschaften und ethnische Minderheiten.

2. Energie anders erzeugen

Seit 2010 sind weltweit die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Batterien um bis zu 85 Prozent gesunken. Daher werden erneuerbare Energien auch zunehmend mehr genutzt. Die schnelle Entwicklung erneuerbarer Energien macht es „weniger wahrscheinlich“, dass das Worst-Case-Szenario (RCP8.5) eintreten wird. Da auch natürliche Emissionsquellen wie Methan aus Permafrost das Klima beeinflussen, bleibt dieses Szenario jedoch nicht ausgeschlossen.

Die Bioenergie sieht der Weltklimarat kritisch. Stammt diese aus Monokulturen oder werden zur Erzeugung von Bioenergie extra Pflanzen angebaut, beeinträchtigt dies nicht nur die Lebensmittel-, sondern auch die Wasserversorgung. Zu den weiteren Energieoptionen zählt der Weltklimarat Wasserkraft, Erdwärme, aber auch Atomkraft und fossile Energien, deren Treibhausgase eingefangen und gespeichert werden.

Entscheidend ist, die Emissionen über das gesamte Energiesystem hinweg zu reduzieren. Dieser Wandel muss über Jahrzehnte hinweg erfolgen. Daher müssen bereits jetzt Optionen getestet werden, die später nützlich sein könnten. Dazu zählt der Weltklimarat die Erzeugung von Wasserstoff aus kohlenstoffarmen Quellen oder die Erzeugung von Bioenergie aus Pflanzen, die weniger Land benötigen als die heutigen Sorten.

3. Den CO2-Ausstoß vom Wirtschaftswachstum entkoppeln

Die Nutzung fossiler Brennstoffe muss im Energiesektor „erheblich“ verringert und die Elektrifizierung vorangetrieben werden. Dazu gehören der Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl. 64 Prozent der Emissionen fallen derzeit bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe in Energieumwandlungssystemen wie Kesseln in Elektrizitätswerken, Motoren in Flugzeugen und Automobilen sowie beim Kochen und Heizen in Haushalten und Unternehmen an.

Noch immer steigen die Treibhausgas-Emissionen weltweit, allerdings nicht mehr so schnell wie ein Jahrzehnt zuvor. 2019 lagen sie bei rund 59 Gigatonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. Um die Erderwärmung zu stoppen, müssen die Netto-Emissionen auf null kommen. Bei gleichbleibendem Anstieg wird das CO2-Budget, mit dem das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann, noch vor 2030 aufgebraucht. Ohne Techniken, mit denen das CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden kann, wird daher das 1,5-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen sein.

24 Länder konnten ihre Emissionen über einen Zeitraum von zehn Jahren reduzieren. 43 Ländern gelang es, ihr Wirtschaftswachstum vom Anstieg der Treibhausgas-Emissionen zu entkoppeln. Dazu gehören auch einige Länder der EU sowie die USA. Dafür stiegen die Emissionen in anderen Teilen der Welt stärker an.

4. Land anders nutzen

Die Landwirtschaft gehörte auf dem Weltklimagipfel in Scharm al-Scheich (COP27) zu den umstrittensten Punkten auf der Agenda. Der Weltklimarat erklärt warum: Landwirtschaft ist mit „den schwierigsten Herausforderungen verbunden, mit denen die Menschheit je konfrontiert war“: Die industrielle Tierhaltung etwa zerstört nicht nur die Umwelt, sondern fördert auch das rasante Artensterben. Da die Landwirtschaft außerdem einen erheblichen Teil der Erde nutzt, hat sie großen Einfluss auf die Qualität von Boden, Wasser und Luft.

Land- und Forstwirtschaft sowie andere Landnutzungen können CO2 in großem Umfang abscheiden und speichern. Wichtig sind naturbasierte Anpassungsmaßnahmen, die die Lebensgrundlagen für Menschen, Tiere und Pflanzen sichern. Der Weltklimarat sieht hier zusammen mit technischen Maßnahmen ein Minderungspotenzial von rund 4,1 Gigatonnen CO2-Äquivalente pro Jahr – bei Wald und anderen Ökosystemen sind es rund 7,3 Gigatonnen CO2-Äquivalente pro Jahr. Das bisher diskutierte Potenzial von Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) hält der Weltklimarat für unrealistisch; die sozialen und ökologischen Folgen seien kaum erfasst.

5. Anders essen

Die im Zusammenhang mit Lebensmittelsystemen erzeugten Emissionen machen etwa ein Drittel aller von Menschen erzeugten Emissionen aus. Jeder einzelne Schritt, von der Produktion von Nutzpflanzen und tierischen Lebensmitteln, der Verarbeitung in der Lebensmittelindustrie, über den Vertrieb und Verkauf bis hin zu Zubereitung und Verzehr verbraucht Ressourcen, erzeugt Abfälle und Treibhausgasmissionen.

Der Weltklimarat sieht hier „einen großen Spielraum“ für Verbesserungen: Weniger Lebensmittelverschwendung, eine veränderte Ernährung sowie verbesserte und verstärkte Nutzung von Holzprodukten können dazu führen, dass etwa 2,2 Gigatonnen CO2-Äquivalente pro Jahr eingespart werden können. Eine andere Ernährung bedeutet auch, tierische durch pflanzliche Lebensmittel zu ersetzen. Auch der Kauf von lokalen, weitgehend verpackungsfreien Lebensmitteln kann Emissionen einsparen.

6. Anders wohnen und reisen

Städte können kompakt und begehbar gestaltet werden, der Verkehr elektrifiziert und mit naturbasierten Lösungen die Aufnahme von und Speicherung von CO2 erreicht werden. Für kurze Flugstrecken und Schifffahrt sei ein elektrischer Antrieb mit Wasserstoff-Brennstoffzellen oder Lithium-Ionen-Batterien möglich, für Langstrecken seien alternative Flüssigtreibstoffe wie etwa e-Fuels wahrscheinlich. Für letztere sei aber noch „erhebliche“ Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu leisten.

2019 erzeugten Gebäude rund 12 Gigatonnen CO2-Äquivalente pro Jahr. In fast allen Klimazonen existieren schon Gebäude mit Null-Energie- sowie Null-CO2-Verbrauch. Die Politik muss bis 2030 Maßnahmen einleiten, um mehr Gebäude klimafreundlich zu gestalten: Wärmedämmung, effizientere Geräte, der Einsatz erneuerbarer Energien und emissionsarme Techniken wie Wärmepumpen sind Teil der Lösung. Wichtig seien daher die politische und finanzielle Förderung von Energieeffizienztechnologien und erneuerbare Energien.

7. Anders wirtschaften

Besonders wichtig ist es, dass Unternehmen ihren Verbrauch von Energie und Ressourcen überall drastisch und absolut senken. Möglich wird dies, wenn sie ihre Wertschöpfungsketten im Sinne der Kreislaufwirtschaft umgestalten. Das heißt: Die Industrie muss Materialien effizienter nutzen, Produkte wiederverwendbar gestalten und aufarbeiten. Sie muss Abfälle verringern. Für Grundstoffe wie Stahl, Baumaterialien und Chemikalien bestehen schon jetzt klimafreundliche Produktionsverfahren.

Der Weltklimarat betont außerdem, dass der Ausstoß der Treibhausgase eng mit dem Wirtschaftswachstum verbunden ist. Gleichzeitig könne aber eine Minderung des wirtschaftlichen Wachstums durchaus mit einem wachsendem Wohlbefinden der Bevölkerung einhergehen. Das Wohlergehen einer Nation allein am Bruttonationalprodukt zu bemessen, sei unzureichend. Es gehe auch um individuelles Wohlbefinden, volkswirtschaftliche Stabilität und die planetare Gesundheit („planetary health“). Auf dem Weg dahin könnten neue Narrative und inklusive Prozesse helfen, bestehende gesellschaftliche Barrieren zu überwinden.

8. Klimarisiken in Finanzströmen berücksichtigen

Seit dem Pariser Klimaabkommen berücksichtigt die Finanzwelt zunehmend klimabedingte Risiken, teilweise zieht sie auch Gelder aus fossilen Investmentprojekten zurück. Immer noch unterschätzen der öffentliche Sektor wie auch der Finanzsektor diese Risiken „massiv“, stellt der Weltklimarat fest. Dabei steht zu wenig Geld für die notwendigen Änderungen zur Verfügung.

Aktuell liegen die Investitionen noch um das Drei- bis Sechsfache unter dem nötigen Niveau, das bis 2030 nötig ist, um die Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Die Lücken sind vor allem für Entwicklungsländer ein Problem, zumal die Corona-Pandemie den fiskalischen Spielraum eingeschränkt hat. Weltweit ist allerdings genügend Kapital und Liquidität vorhanden, stellt die Wissenschaft fest, um die Investitionslücken zu schließen. Mit „großer Sorge“ warnt sie, dass trotz jüngster Zusagen noch immer zu viele Gelder in fossile Brennstoffe fließen.

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