Der Therapeut riet dem Patienten zuerst, mit dem Kiffen aufzuhören und arbeitete dann mit ihm daran, seine privaten Probleme in den Griff zu bekommen. Für die Angst vor dem Klimawandel hatte er einen anderen Rat: Der junge Mann solle sich mit seinen Sorgen konfrontieren und sie zu Ende denken. "Angstpatienten neigen dazu, sich zwar übermäßig viel mit den Drohszenarien zu beschäftigen, sie aber nie richtig an sich heranzulassen und zu verarbeiten." Lasse man die Angst an sich heran, verliere sie irgendwann ihre bedrohliche Wirkung. Das sei wichtig, sagt Tripp, um wieder handlungsfähig zu werden. "Studien zeigen, dass nur ein hohes Angstlevel lähmend wirkt", sagt Tripp. "Ein mittleres wirkt sogar leistungssteigernd." Heute züchtet Tripps Patient Bienen. Es gebe ihm das Gefühl, sagt Tripp, den Veränderungen der Umwelt nicht mehr schutzlos ausgeliefert zu sein, sondern etwas dagegen zu tun.

Die Klimaaktivisten haben ein spezielles Verhältnis zur Angst. Man könnte auch sagen: Sie wissen das Gefühl zu nutzen. Sie sprechen von Angst als Treiber, um überhaupt etwas zu bewegen. "I want you to panic", rief Greta Thunberg dem Publikum auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos entgegen, "ich will, dass ihr in Panik geratet". Daran, dass die Angst vor der Klimakatastrophe wegtherapiert wird, können die Aktivistinnen gar kein Interesse haben. Denn wenn niemand mehr Angst hat, geht auch niemand mehr auf die Straße.

"Ein hohes Angstlevel wirkt lähmend."
Jürgen Tripp, Psychotherapeut

Aber vor Angst gelähmte Aktivistinnen kann die Bewegung ebenso wenig gebrauchen. Sie können ihr sogar schaden. Kaum ein Zukunftsszenario ist so gut wissenschaftlich belegt wie der Klimawandel. Jetzt stellen Aktivisten wie Finn Harries plötzlich ihre eigenen Gefühle in den Vordergrund und sagen, dass sie um die Erde trauern oder aufgrund der steigenden Meere depressiv werden.

Wenn in der Klimabewegung plötzlich Emotionen und nicht mehr wissenschaftliche Fakten regieren, ist es Kritikern ein Leichtes, die Aktivistinnen zu verhöhnen: Schaut her, was für ein Haufen hysterischer Esoteriker. Die Kritik an der Aktivistengruppe Extinction Rebellion, die stark mit emotionalen Begriffen arbeitet, geht bereits in diese Richtung. So warf die Ex-Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth der Bewegung vor, eine "esoterische Sekte" zu sein

Wie ein Weg aussehen könnte, der beim Klimaaktivismus nicht zwischen rationalem Handeln und einem emotionalen Zugang unterscheidet, zeigt ein Modellprojekt in Schweden. In der Stadt Lulea bot die örtliche Volkshochschule 2017 im Rahmen des Projektes "Be Change" einen Kurs an, in dem sich Menschen mit Klimaangst neun Monate lang von einem Coach begleiten ließen. Gleichzeitig arbeiteten sie daran, ihre CO2-Emissionen genau zu erfassen und zu reduzieren. Am Ende konnte die persönliche CO2-Bilanz jedes einzelnen um mehr als 40 Prozent reduziert werden. Und die Teilnehmer beendeten den Kurs deutlich optimistischer, als sie ihn begonnen hatten. 

Auch Frederike geht es heute wieder besser. Sie sagt, sie habe gelernt, eine Balance zu finden. Nach wie vor helfe es ihr vor allem, aktiv zu sein und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Im Oktober ist Frederike gemeinsam mit anderen zum alternativen Klimagipfel von Aktivisten nach Chile gesegelt. Auch wenn sie das Klima nicht retten kann, will sie die Hoffnung nicht aufgeben.

In einer früheren Version des Textes stand, Friederike Freitag sei zum Klimagipfel in Chile gesegelt. Der hat aber dort gar nicht stattgefunden, es handelte sich um einen alternativen Gipfel von Aktivistinnen und Aktivisten. Das haben wir korrigiert.