Marcie Berry klingt alarmiert. "Derzeit kommen KEINE INFOS aus D.C.", twittert sie am 1. Juni um 3.26 Uhr morgens über die Black-Lives-Matter-Proteste vor dem Weißen Haus. "Keine Streams, keine Beiträge, Bilder oder Videos. Alles gleichzeitig gestoppt." Berry sieht darin den nächsten Schritt der Eskalation durch die Polizei: "Sie fangen an, zu töten, und versuchen, das durch Störsender zu verbergen." Sie versieht den Tweet mit dem Hashtag #DCBlackout. 

Berrys Twitter-Profilbild zeigt die Comiczeichnung einer jungen weißen Frau mit langen, lilafarbenen Haaren. Ihr Account hat etwas mehr als 200 Follower. Sie ist eine der Ersten, die von den angeblichen Störungen des Internets in der Hauptstadt der USA berichtet. Doch dann verbreitet sich das Hashtag #DCBlackout auf Twitter rasend schnell – und mit ihm die Erzählung, dass US-Behörden dafür verantwortlich seien, dass das Internet in der Hauptstadt großflächig lahmgelegt sei. Vermutlich, um gegen die Protestierenden vorzugehen, die seit Tagen das Weiße Haus belagern und Donald Trump dazu veranlasst haben, sich in einem Bunker zu verbergen. 

Als Alex Engler ein paar Stunden später in Washington, D. C., aufwacht und in seine Twitter-Timeline schaut, ist er erstaunt. Er sieht eine Flut von Tweets, die unter dem Hashtag #DCBlackout davon berichten, dass in seiner Heimatstadt digital gerade nichts mehr gehe. Doch Englers Internet funktioniert tadellos. Ihm ist schnell klar: Es handelt sich um eine Desinformationskampagne. Engler forscht seit Jahren zu diesem Thema, erst in Chicago, nun in der Denkfabrik Brookings Institution in Washington. Er schaut sich genauer an, wer die Nachricht vom Internetblackout in der US-Hauptstadt verbreitet. Ihm fällt auf, dass viele Accounts, die das Gerücht verbreiten, erst kürzlich angelegt worden sind. Die meisten davon haben zuvor nicht oder nur wenig getwittert.

"Das sind eindeutig Fake-Accounts", twittert Engler um 8.14 Uhr. Doch schon zu diesem Zeitpunkt hat er keine Chance mehr gegen die vermeintliche Nachricht vom abgeschalteten Internet. Denn da hatten bereits 35.000 Accounts mehr als eine halbe Million Tweets mit dem Hashtag #DCBlackout abgesetzt – und ihn damit in Twitters Trending Topics befördert.

Bot or not?

Schnell flammten auch an anderer Stelle auf Twitter Debatten darüber auf, ob das Gerücht vom Internetblackout in D. C. von sogenannten Bots in die Welt gesetzt und verbreitet wurde. Das sind Social-Media-Profile, hinter denen kein Mensch, sondern eine Maschine steckt. Social Bots verbergen im Gegensatz zu Bots, die offiziell beispielsweise bestimmte Hashtags retweeten oder lustige Dinge tun, dass sie maschinell betrieben sind.

Seit dem US-Wahlkampf 2016 und der Brexit-Abstimmung in Großbritannien sorgen sich manche darum, welchen Einfluss es auf Diskussionen in sozialen Medien haben kann, wenn sich solche maschinell gefütterten Accounts in Debatten zu Wort melden, Hashtags verbreiten, Tweets verstärken. Wissenschaftler und IT-Experten streiten erbittert über die Rolle dieser Roboteraccounts: Während die einen überzeugt sind, dass sie Diskussionen auf Twitter massiv beeinflussen können – und damit demokratische Prozesse untergraben, sind andere überzeugt, dass es Social Bots, die systematisch Fehlinformation verbreiten, nicht gibt. Oder aber, dass sie einfach keine zentrale Rolle spielen. 

Denn es ist kompliziert. Marcie Berry, die Twitter-Nutzerin, die die Mär vom nächtlich verschwundenen Internet in D. C. in die Welt setzte: Steht hinter ihrem Account ein Social Bot? Eine reale Person? Oder irgendetwas dazwischen? Was Mensch und was Maschine verbreiten, was mit ehrlichen Absichten und was zum Trollen und Steuern demokratischer Willensbildung und emotionaler Bewegungen verbreitet wird, das ist oft verwirrend und schwer auseinanderzuhalten. Selbst Bot-Forscher und ihre Klassifikationsinstrumente scheitern oft an einer korrekten Klassifizierung (SSRN: Rauchfleisch, A. et al., 2020 ). Twitter und Facebook betreiben inzwischen einigen Aufwand, um unauthentische Accounts von ihren Plattformen zu verbannen. Auch das erweist sich in der Praxis aber immer wieder als schwierig. 

Am Hashtag #DCBlackout lässt sich viel darüber lernen, wie in sozialen Netzwerken dieser Tage gezielt Gerüchte gestreut und verbreitet werden. Darüber, welche Rolle Social Bots dabei spielen, und welche professionelle Trolle, leichtgläubige Nutzer, die Unsinn ungeprüft weiterverbreiten, und die ausgefeilte Steuerung von Desinformationskampagnen.